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mit den romantischen Ideen und durch sie modifiziert. Überhaupt treten jetzt die ständischen und die absolutistischen Aspirationen nicht einfach in der alten Gestalt hervor. Alles erhält einen neuen Zusammenhang. Zwischen den ständischen und absolutistischen Gedanken stellen sich ferner allmählich Ausgleiche und Verbindungen her, freilich unter dauernder Wahrung eines gewissen Gegensatzes. Eben mit dieser Mannigfaltigkeit der Richtungen ist es gegeben, dass diejenigen, die die historischen Verhältnisse erhalten sehen wollten, Änderungen der bestehenden Zustände nicht schlechthin ablehnten. So sind in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wichtige Reformen von den alten Mächten, insbesondere der Monarchie und dem Beamtentum, durchgesetzt worden und zwar mehrfach im Gegensatz gegen die Gruppen, die man als liberale bezeichnen könnte. Andererseits traten aus den ständischen Konservativen Wünsche auf Einschränkung des absoluten Regiments hervor und berührten sich hier teilweise mit den Wünschen der Liberalen.

Den grössten Einfluss auf die Ausbildung konservativer Anschauungen im Abendland übte der Engländer Burke aus. Er war der gefeierte Held der politischen Romantiker. Den Kampf gegen das liberale Manchestertum des Adam Smith führte der deutsche Romantiker Adam Müller. Vorübergehend hat schon in der Zeit der Napoleonischen Herrschaft, als Ausdruck der romantischen Stimmung, in Preussen eine konservative Zeitung bestanden. Der Redakteur war kein geringerer als Heinrich von Kleist. Das Programm dieses Kreises gipfelte in den Gedanken: Christentum, Königstreue, Schutz historisch gewordener Rechte, Befreiung des Vaterlandes von der fremden Herrschaft.

Wesentliche Ideen der Romantiker übernahm die Burschenschaft. Die burschenschaftliche Bewegung hatte für die Entfaltung eines politischen Lebens in Deutschland grosse Bedeutung. Aus ihr sind sowohl namhafte Konservative wie Liberale hervorgegangen. Je nachdem man bei dem nationalen Moment, das die Burschenschaft so energisch erfasste, die Selbstbestimmung der Kation mehr nach innen oder nach aussen betonte, gelangte man zu liberalen oder zu konservativen Anschauungen. Früh wurde allerdings der burschenschaftlichen Bewegung, wesentlich durch die Demagogenverfolgung, eine einseitigere Richtung gegeben.

Bedeutungsvoll für die Entwickelung eines politischen Lebens war weiterhin – wir berücksichtigen zunächst die Entwicklung in Preussen – die Regierung König Friedrich Wilhelms IV. Zwei Streitpunkte treten hier namentlich in den Vordergrund: die kirchliche und die Verfassungsfrage; auch der kirchliche Streit musste zum grossen Teil innerhalb des Staats durchgekämpft werden. Es galt, für das positive Christentum, das sich seit den Freiheitskriegen stärker entwickelt hatte, eine gesicherte Stellung zu erringen gegen den alten Rationalismus, der bis dahin in der Kirche noch in namhaftem Umfang der beatus possidens war (vgl. den Kampf um die Professuren in der rationalistischen Theologenfakultät in Halle), und gegen neue Formen des kirchlichen Liberalismus. Eben in dieser Zeit gewinnt das Programm der Konservativen nach der kirchlichen Seite hin eine bestimmtere Richtung. In der Verfassungsfrage gingen ihre Anschauungen, wie schon angedeutet, auseinander: diejenigen, die an absolutistische Gedanken anknüpften, verhielten sich sehr ablehnend, während die Konservativen ständischer Richtung einen Ausbau der Verfassung für erwägenswert hielten. Überwiegend traten freilich auch diese in erster Linie für die Rechte des Königtums ein, und so erschien als allgemeiner Gegensatz der Konservativen und der Liberalen die abweichende Auffassung von dem Mass der Rechte, die der monarchischen Gewalt zuzuweisen seien.

Neben der Frage der Einführung der Verfassung in den deutschen Einzelstaaten stand damals die der politischen Einigung des ganzen deutschen Volks. Es ergibt sich schon aus dem vorhin Bemerkten, dass die Konservativen der nationalen Idee keineswegs ablehnend gegenüberstanden. Die Bewahrung deutscher Eigenart war eine ihrer mit grösstem Eifer erhobenen Forderungen. Die Verbreitung und der Ausbau der nationalen Idee sind von konservativen Forschern und Politikern sehr wesentlich gefördert worden. Aber bei der Wertschätzung, die die Konservativen den überkommenen staatlichen Gewalten widmeten, bei ihrem legitimistischen Zug vermochten sie nicht den Übergang zu der Forderung der politischen Zusammenfassung der ganzen Nation zu finden. Den Nationalstaat sahen sie nicht in dem nationalen Einheitsstaat, sondern in dem der Nation entsprossenen Einzelstaat. Und sie fanden ja auch, wenn ihnen das Verfassungsideal des Liberalismus oder gar der Demokratie vorgehalten wurde, darin den Gegensatz nicht bloss gegen einzelne territoriale Berechtigungen der Fürsten, sondern gegen die gesamte Rechtsordnung, die

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/18&oldid=- (Version vom 29.8.2021)