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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2


2. Kauf und Verkauf von Staatstitres. Stückelung. Staatsschuldbücher.

Anerkanntermassen hat die starke Demokratisierung und Popularisierung der französischen Rente, der überaus breite Markt, der dadurch für sie geschaffen wird – man nimmt an, dass in Frankreich über die Hälfte aller Börsenoperationen in Rente abgeschlossen wird und dass der Rentenbesitz unter 2–3 Millionen Besitzer verteilt ist – viel zur Stabilisierung des Kurses der französischen Rente beigetragen. Erreicht worden ist diese Demokratisierung vor allem durch die Stückelung der Rententitres bis zu 2 und 3 Frs. herab und durch die leichte Möglichkeit des Rentenan- und -verkaufs bei allen Steuereinnahmestellen. Couponeinlösungsstellen für Staatsrente gibt es in Frankreich an 6000.

In beiden Hinsichten steht hinter Frankreich namentlich England zurück. Infolge des starken Rückganges der Konsolkurse macht sich indessen in England schon seit Jahren eine starke Bewegung für grössere Popularisierung und Erleichterung der Übertragungsmöglichkeit der Konsols geltend. Sie hat dahin geführt, dass man neuerdings durch Vermittelung der Postämter schon für die kleinsten Summen, von 1 sh an, gegen eine geringe Kommissionsgebühr Staatsgläubiger werden kann.

Was die Stückelung der Staatspapiere in Deutschland anbelangt, so geht sie in Preussen und einigen anderen Staaten, wie Oldenburg, Sachsen bis zu 100 Mk., im Reiche und in Baden, Bayern, Braunschweig, Hessen, Lübeck, Württemberg bis zu 200 Mk., in Hamburg und Bremen nur bis 500 Mk. herab. Bei uns sind also kleinere und mittlere Kapitalbesitzer sehr wohl in der Lage, ihre Kapitalien in Staatspapieren anzulegen. Neuerdings ist in Preussen die Verkaufs- und Ankaufsmöglichkeit dadurch erleichtert worden, dass der Verkauf von Reichs- und Staatspapieren durch die Seehandlung provisionsfrei und an Bankiers und Sparkassen auch courtagefrei erfolgt.

Weiter hat man in Deutschland, wo die Form der Staatsverschuldung im Gegensatz zu England und Frankreich ursprünglich diejenige der Inhaberpapiere war, seit 1881 mehrfach Staatsschuldbücher und ein Reichsschuldbuch eingeführt, um dem Staatsgläubiger die Überführung der Inhaber- in eine Buchschuld zu ermöglichen (s. darüber Näheres unter „Öffentl. Kredite“), ein Vorgehen, in dem die Absicht einer Erschwerung häufigeren Umsatzes der Staatspapiere hervortritt.

Hat das zielbewusste Vorgehen Frankreichs auf diesem Gebiete der Rente einen starken widerstandsfähigen Markt geschaffen, so darf der Erfolg dieser Massnahmen doch auch nicht überschätzt werden. Die grossen englischen Banken und Gesellschaften haben jahrelang sehr grosse Verluste in ihrem Staatspapierbestand erlitten, ehe sie denselben eingeschränkt haben. Ob der kleine Rentner, der genauer rechnen muss, bei starkem Sinken der Rentenkurse, namentlich in gefahrvollen, in Kriegszeiten ebenso so lange aushalten würde, ist zweifelhaft. Auch sonst ist es fraglich, ob eine so starke Demokratisierung der Rente, wie sie sich in Frankreich vorfindet, trotz ihrer unleugbaren Vorteile für die Kursgestaltung als restlos idealer Zustand anzusehen ist, da sie die Regierung nötigt, bei allen ihren politischen und wirtschaftlichen Massnahmen in einem Masse deren Rückwirkung auf die Rentenkurse in Rücksicht zu ziehen, die kaum immer dem staatlichen allgemeinen Interesse dienlich erscheint.

3. Zinspolitik. Konvertierungen.

Von grösserer und nachhaltiger Bedeutung für den Rentenkurs als die mehr formalen Massnahmen der Emission und Umsatzmöglichkeiten ist die materielle Zinspolitik des kreditnehmenden Staates. Hier sind es namentlich die Kapitalskündigungen und Zinsenherabsetzungen bei sinkendem Landeszinsfuss, die Konvertierungen, welche vielfach als eine der Hauptursachen des Rückganges der Staatsanleihekurse angeführt werden. In Frage kommen namentlich für England die Goschen’sche Konvertierung aus dem Jahre 1888, durch welche 560 Mill. £ 3% Konsols in 2¾%, mit weiterer automatischer Zinsermässigung auf 2½% vom Jahre 1903 ab, konvertiert wurden, und für Deutschland die Konvertierungen mehrerer Bundesstaaten aus Mitte der 80er Jahre von 5 und 4½ in 4%ige und ferner die grossen Konversionen von 4% in

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/180&oldid=- (Version vom 16.9.2021)