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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

3½%ige Reichs- und Staatspapiere, die Mitte der 90er Jahre (1895/97) im Reich und in mehreren Bundesstaaten in Höhe von zusammen etwa 5,7 Milliarden Mk. zur Durchführung gelangten. Alle diese Konvertierungen sind seinerzeit von vollstem Erfolge begleitet gewesen, ein Zeichen, dass die damalige Marktlage sie durchaus rechtfertigte. Wenn man gleichwohl heute rückschauend sagen kann, dass namentlich die engl. Konvertierungen und die Konvertierungen bei uns aus der Mitte der 90er Jahre mit zu der heutigen Unbeliebtheit von englischen und preussischen Konsols und deutschen Reichsanleihen beigetragen haben, so wird man doch Konvertierungen nicht allgemein verdammen und namentlich den Männern, die jene Konversionen durchgesetzt haben (Goschen, Miquel), nur in sehr eingeschränktem Masse Vorwürfe aus ihrem Vorgehen machen dürfen.

Wenn man über unsere Konvertierungspolitik der 90er Jahre klagen hört, kehrt häufig die Behauptung wieder, es sei damals eine Konvertierung der 4% Schuldtitel in 3%ige erfolgt. Oder es wird unter Berufung auf jene Konvertierung dargelegt, welche Verluste an den 3% Papieren, soweit sie Mitte der 90er Jahre gekauft seien, entstanden seien. Damit vermengt man zwei durchaus nicht gleich zu bewertende Tatsachen miteinander: Die Konvertierung der 4% Anleihen in 3½%ige und den Übergang zu dem neuen 3% Typ im Anfang der 90er Jahre.

In Wirklichkeit wird man sagen müssen, dass der Übergang zum 3% Typ im Jahre 1890 ein weit grösserer Fehler der Miquelschen Finanzpolitik war, als die Konvertierung Mitte der 90er Jahre der 4 in 3½%ige.

Die Aussicht auf Kursgewinne bei Veräusserung niedrig verzinslicher Papiere zu steigenden Preisen ist es hauptsächlich, welche den niedrig verzinslichen Typ für das anlagesuchende Publikum begehrenswert erscheinen lässt, und die sogar dazu führt, dass sich die Käufer dieser Anleihen meist mit einem niedrigeren Realzins begnügen als die Käufer höher verzinslicher Anleihen. Infolgedessen hatte sich die Spekulation in starkem Masse der 1890 eingeführten 3% Titres bemächtigt und zwar nicht nur die inländische, sondern, nachdem von Miquel die Zulassung der 3% Reichsanleihe an der Londoner Börse durchgesetzt war, auch die ausländische Spekulation, so dass gerade mit Hilfe dieser der Kurs der 3% deutschen Papiere in wenigen Jahren bis auf Pari getrieben werden konnte. Als sich dann Ende der 90er Jahre die Marktverhältnisse änderten, erwiesen sich die 3% Anleihen als am wenigsten widerstandsfähig und hatten den relativ stärksten Rückgang zu verzeichnen. Während in dem Zeitraum 1895 bis 1910 der höchste Kurs der 3% Reichsanleihe 100,30, der niedrigste 81,20 war, was eine Differenz von 19,10% bedeutete, betrug der höchste Kurs der 3½% im gleichen Zeitraum 105,70, der niedrigste 90,90, was nur eine Differenz von 14,80% ausmachte. Und dabei kann man annehmen, dass die Kursgestaltung der 3% Rente die Kurse der 3½% Titel nach oben wie nach unten noch mit fortgerissen hat, sodass, wenn ein 3% Typ überhaupt nicht bestanden hätte, die Spannung der höchsten und niedrigsten Kurse der 3½%igen wohl noch eine geringere als 14,80% gewesen sein würde. Die Vermeidung des 3% Typs würde also das gesamte Bild der Kursentwickelung unserer Staatsanleihen in wesentlich besserem Lichte haben erscheinen lassen.

4. Wirtschaftliche und steuerliche Vorteile für den Staatsgläubiger.

Staatspapiere sind wie andere Wertpapiere eine Ware, für deren Preisbildung Angebot und Nachfrage entscheidend sind. Deshalb stehen die Staatspapiere derjenigen Staaten, welche die Nachfrage nach ihren Anleihen durch Zusicherung steuerlicher und wirtschaftlicher Vorteile für den Rentenbesitzer verstärkt haben, besser da, als die Staatswerte anderer Länder, in denen dies nicht oder nur in geringerem Masse je geschehen ist. Zu letzteren gehört vor allem Deutschland.

In steuerlicher Beziehung ist die wirksamste Bevorzugung die Befreiung von der Einkommensteuer. Man findet sie aber nur in Ländern mit sog. speziellen Einkommen(Kapitalrenten)steuern, wie in Frankreich und Italien, dagegen nicht in Ländern mit allgemeiner Einkommenbesteuerung, wie in den deutschen Bundesstaaten, weil die Steuerbefreiung schon aus steuertechnischen Gründen kaum durchführbar wäre. Bei indirekten Steuern (Stempelsteuern) werden die Staatswerte fast in allen Staaten (auch bei uns) bevorzugt.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 165. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/181&oldid=- (Version vom 16.9.2021)