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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

und grosse Pfandbriefemissionen von Jahr zu Jahr den staatlichen Schuldpapieren sehr erhebliche Konkurrenz bereitet.

Vor allem kommen die „öffentlichen Kredite“ der Landschaften, Landeskreditinstitute, Rentenbanken usw. als Konkurrenzpapiere in Betracht, weil diesen Papieren wie den Staatspapieren das Recht der Mündelsicherheit eingeräumt ist.

Von den privaten Hypothekenbanken sind nur etwa 4 Milliarden Pfandbriefe (der süddeutschen Staaten) mit dem Rechte der Mündelsicherheit begabt. Aber auch die nicht mündelsicheren Pfandbriefe (etwa 5–6 Milliarden) machen, namentlich infolge der grossen Pflege, welche die Hypothekenbanken ihren Pfandbriefen angedeihen lassen, den Staatspapieren recht erhebliche Konkurrenz.

Endlich sind noch alle diejenigen Hypothekenanlagen als Konkurrenten der Staatspapiere zu nennen, die nicht von Hypotheken- pp. Instituten und von Sparkassen, sondern von Privaten, Mündelgeldverwaltern, Stiftungen pp. direkt gewährt werden, deren Summe schwer festzustellen ist, die man aber nach den Eberstadt’schen Schätzungen von 1901 (der deutsche Kapitalmarkt S. 231) verbunden mit der seitherigen Zunahme, wie sie amtliche Statistiken aufweisen, gegenwärtig auf etwa 40–45 Milliarden Mark schätzen kann.

Neben Pfandbriefen und Hypotheken sind es namentlich die kommunalen Inhaberpapiere, deren Beträge in Deutschland absolut und relativ in fortwährendem Wachsen begriffen sind und welche den Staatspapieren immer ernstere Konkurrenz machen.

Man wird die zunehmende Verschuldung unserer Gemeinden, namentlich unserer grossen Städte, nicht in Grund und Boden verdammen dürfen. Die grossen Aufgaben, die diesen Körperschaften aus der oft rapide steigenden Bevölkerungszahl, der enormen Entwickelung des wirtschaftlichen und Verkehrslebens, den Anforderungen der Hygiene, Volkswohlfahrt und Sozialpolitik erwachsen, sämtlich aus laufenden Mitteln zu bestreiten, würde eine unlösbare Aufgabe sein. Aber auch hier gilt es, das richtige Augenmass nicht zu verlieren.

Bei unserer gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Lage wird man zwar von einer Überverschuldung der Gemeinden nicht sprechen können, zumal etwa die Hälfte der kommunalen Schulden für rentable, Überschüsse abwerfende Gemeindezwecke gemacht sind (1908 entfielen bei den preussischen Städten mit mehr als 25 000 Einwohnern 52,7% der Schulden auf gewerbl. Unternehmungen) und viele Gemeinden über erhebliches Gemeindevermögen verfügen. Zeiten rückläufiger Konjunktur und politischer Krisen, die nicht ausbleiben dürften, werden aber kommenden Generationen die gewaltige Gemeindeschuldenlast vielleicht weit drückender fühlbar werden lassen, als dies die schuldenbewilligenden Stadtväter sich heute träumen lassen. Das Recht der staatlichen Aufsichtsbehörde, findet leider Schranken in dem städtischen Selbstverwaltungs- und Selbstbestimmungsrecht, die nicht so leicht zu überwinden sind, wie dies der Theoretiker oft glaubt und der Praktiker wünschen möchte. Wie in Reich und Staat, so müssen auch in den Gemeinden vor allem die Vertreter der Steuerzahler sich mehr bewusst bleiben, dass Ausgaben leichter bewilligt als gedeckt sind, dass die Gemeinwirtschaft nicht Selbstzweck ist und dass sie nicht auf Kosten der Einzelwirtschaften zu sehr aus dem Vollen leben darf.

Eine in neuerer Zeit immer mehr hervortretende Erscheinung auf dem Kapitalmarkte der festverzinslichen Papiere in England und Deutschland ist endlich die Zunahme der Industrieobligationen. Sie werden bei uns auf bereits 3–4 Milliarden M. geschätzt, nach neuerer amtlicher Statistik kommen 3,9 Milliarden M. in Frage, wobei allerdings auch die Obligationen anderer als industrieller Erwerbsgesellschaften oder Privatbetriebe miteingerechnet sind. Für eine Einschränkung der Industrieobligationen bringt man namentlich die Einholung staatlicher Genehmigung und ferner eine besondere Couponsteuer (1–1½%) in Vorschlag, Vorschläge, die aber nicht empfohlen werden können.

Insgesamt stellt sich die Höhe der öffentlichen Kredite in Deutschland gegenwärtig auf 37–38 Milliarden Mk. und die Summe der festverzinslichen Obligationenschuld (öffentl. wie privater Schuldner) auf nicht weniger wie 47–48 Milliarden Mk.

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/185&oldid=- (Version vom 16.9.2021)