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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Besitzes an Staatspapieren entledigt haben. Ein vernünftiger Grund für solche Befürchtungen wäre auch schlechterdings nicht zu finden. Der Wohlstand sowie die Steuerkraft haben bei uns wie in England und übrigens auch in Frankreich und Österreich gerade während des Rückganges der Rentenkurse ganz ausserordentlich zugenommen, und wir sahen bereits („Öffentliche Kredite“), dass es gerade die Steuerkraft der Bevölkerung ist, welche in letzter Linie über die Stärke und Sicherheit des Staatskredits entscheidet.

Waren die deutschen Regierungen gezwungen, in neuerer Zeit von 3 und 3½% Nominalzins wieder zum 4%igen Typ hinaufzugehen, so ist das im wesentlichen eine Folge des infolge der steigenden Wirtschaftskonjunktur gestiegenen Kapitalgebrauchswertes überhaupt. Diese Tatsache ist aber so wenig ein Zeichen für Minderung des Staatskredits, so wenig man von einer Minderung des Kredits einer Bank sprechen wird, wenn sie bei steigenden Geldbedürfnissen des Marktes oder vermehrter Geldknappheit den Zins für ihre Depositeneinlagen erhöhen muss.

Wir haben aber den Rückgang der Rentenkurse nicht allein vom Standpunkte des kreditbedürftigen Staats, sondern auch von dem seiner Gläubiger, des anlagesuchenden Publikums, zu betrachten. Den grossen Verlusten derer, die ihre Kapitalien in Staatsfonds angelegt haben und durch die Kursrückgänge erhebliche Summen eingebüsst haben, seien es nun einzelne Private, öffentliche Institute oder Gesellschaften, kann und darf der Staat, auch abgesehen von dem eigenen finanzieller Interesse, schon aus ethischen und moralischen Gründen nicht teilnahmslos gegenüberstehen. Wenn man neuerdings einerseits den Realzins des Staates mit dem anderer festverzinslicher Werte im Lande verglichen und dabei festgestellt hat, dass der Kurs der Staatspapiere immer noch um 1 bis 2% denjenigen dieser anderen Werte übertrifft, oder wenn man den Realzins unserer Staatspapiere mit demjenigen Frankreichs und Englands vergleicht und konstatiert, dass bei unserm verhältnismässig weit höheren kurzfristigen Leihzins der Realzins unserer Staatspapiere gegenüber jenen Ländern noch verhältnismässig hoch zu nennen sei, und wenn man aus diesen Vordersätzen ableiten will, dass Regierungs-Massnahmen zur Hebung der Rentenkurse im Grunde überflüssig, nutzlos und fast unberechtigt seien, so kann dem keineswegs beigestimmt werden. So gut wie Frankreich und Italien durch steuerliche und sonstige Massnahmen erreicht haben, dass die Kurse ihrer Staatswerte mehrfach weit grössere Spannungen gegenüber andern erstklassigen festverzinslichen Werten aufweisen, als 1 bis 2%, wie gegenwärtig bei uns, muss es auch bei uns das Ziel der Regierung bleiben, das bestehende Spannungsverhältnis zugunsten der Staatspapiere zu verbessern.

Die Herbeiführung eines günstigen Kursstandes der Staatsanleihen auf jede nur irgend zulässige Weise zu fördern, wird auch in der Tat nicht nur bei uns, sondern anderwärts überall für ein eminentes Staatsinteresse angesehen. Die Reichsregierung wie die Bundesregierungen haben daher allen Anlass, nicht müde zu werden, kein geeignetes Mittel unversucht zu lassen, um eine Besserung und grössere Stabilität der Rentenkurse zu erzielen. Das ist der Staat nicht nur dem eigenen Kreditinteresse, sondern auch den Staatsgläubigern schuldig.

Man wird der Reichs- und preussischen Staatsregierung das Zugeständnis nicht vorenthalten können, dass sie nicht nur seit Jahr und Tag eifrig und unverdrossen an der Hebung der Staatsrentenkurse arbeitet und nichts unversucht lässt, was sie auf diesem Wege weiter bringen kann, sondern auch, dass sie sich in ihren gesetzgeberischen Massnahmen durchaus in angemessenen und massvollen Grenzen gehalten hat.




Die Lehren, welche die Staaten aus der Kursentwickelung ihrer Schuldpapiere in den letzten Dezennien zu entnehmen haben, müssen nach allein Vorgesagten dahin gehen, dass sie einmal ihre Zinspolitik zu verbessern haben, indem sie einerseits bei ihren Konvertierungen grössere Vorsicht walten lassen, andererseits nicht durch Wahl nominell zu niedriger Zinsfüsse ein zu grosses Spekulationsmoment in ihre Staatswerte bringen. Dass sie ferner

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/188&oldid=- (Version vom 16.9.2021)