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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Zahl der Geborenen (einschl. Totgeborene)
      überhaupt       berechnet auf 1000 der Bevölkerung
1880 1 764 096 39,1
1890 1 820 264 37,0
1900 2 060 657 36,8
1905 2 048 453 34,0
1910 1 982 836 30,7
1911 1 927 039 29,5
1912 1 925 883 29,1

Dieser Geburtenrückgang, auf den ich in einem besonderen Artikel (Abschnitt 43 b.) näher eingehe, ist, wie Rudolf Goldscheid treffend bemerkt, „die notwendige Resultante im Parallelogramm der gesamten historischen Kräfte.“ Als solche wirken hier mit: grössere Langlebigkeit, späteres Heiratsalter und längere Ausbildungszeit in den höheren Gesellschaftsklassen, Steigerung der Lebensansprüche, Kampf um Reichtum und Wissen, Ausbreitung des weiblichen ausserhäuslichen Erwerbs, Anwachsen der städtischen, unter teueren Wohnungs- und Lebensverhältnissen leidenden Bevölkerung, grösseres Verantwortungsgefühl in bezug auf Aufzucht der in die Welt gesetzten Kinder auch bei der Arbeiterschaft. Ebenso sind geburtenhemmend: Kinderschutz, Schulzwang und allgemeine Militärpflicht, sie haben zur Folge, dass das Kind länger als früher ein unproduktiver und kürzer als zuvor ein produktiver Faktor ist. Nebenher mögen auch, zum Teil im Zusammenhang mit den erwähnten wirtschaftlichen Ursachen, eine Reihe sozialpathologischer Momente (Zunahme der prophylaktischen Aborten, Geschlechtskrankheiten, Nervosität usw.) in Betracht kommen.

Die sinkenden Geburtenziffern, die übrigens noch keineswegs das Zweikindersystem in Deutschland deklarieren, können einstweilen noch nicht als Degenerationssymptome gelten. Die geringere Natalität wird stark überkompensiert von der höheren Lebenskraft und Lebensdauer der geborenen Bevölkerung, die sich vor allem in der zurückgehenden Sterbehäufigkeit äussert.

Die Sterbeverhältnisse haben sich gerade in den letzten Jahrzehnten sehr erfreulich verbessert. Die Zahl der Gestorbenen betrug 1912 1,086 Millionen – eine Zahl, die schon absolut niedriger ist als in früheren Jahren, wo beispielsweise im Jahre 1900 bei einer kleineren Volksziffer 1,3 Millionen starben. Besonders deutlich erhellt aber die Verbesserung der Sterbeverhältnisse aus der relativen Zahl: 1912 betrug die Sterbeziffer 16,4 vom Tausend der Bevölkerung, 1900 dagegen noch 23,2‰, 1890 25,6‰, 1880 27,5‰! Das Jahr 1911 mit 1,19 Millionen Gestorbenen oder 18,2‰ kann wegen seines anormalen Charakters (grosse Sommerhitze) zum Vergleich nicht gut herangezogen werden.

Diese Verbesserungen der Sterbeverhältnisse bedeuten – positiv ausgedrückt – eine längere Erhaltung der Lebenskraft, eine Verlängerung der Lebensdauer.

Es ist die mittlere Lebensdauer (d. i. die Zahl der Jahre, die durchschnittlich von jedem Mitglied einer Generation unter den obwaltenden Sterbeverhältnissen durchlebt werden) in den Jahrzehnten 1871/80 bis 1901/10 beim männlichen Geschlecht von 35,58 auf 44,82 Jahre oder um 25,97%, beim weiblichen von 38,45 auf 48,33 oder um 25,70% gestiegen:

Mittlere Lebensdauer
1871/80 1881/90 1891/1900 1901/10
männliches Geschlecht 35,58 Jahre 37,17 Jahre 40,56 Jahre 44,82 Jahre
weibliches Geschlecht 38,45 Jahre 40,25 Jahre 43,97 Jahre 48,33 Jahre
Mithin Zunahme
1871/80–1881/90 1881/90–1891/1900 1891/1900–1901/10 1871/80–1901/10
männliches Geschlecht 1,59 Jahre 3,39 Jahre 4,20 Jahre 9,24 Jahre = 25,97%
weibliches Geschlecht 1,80 Jahre 3,72 Jahre 4,36 Jahre 9,88 Jahre = 25,70%

Noch stärker hat die sogenannte „wahrscheinliche Lebensdauer“ zugenommen. Man versteht hierunter das Alter, bis zu dem die Hälfte aller Personen gestorben ist, so dass also

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/194&oldid=- (Version vom 17.9.2021)