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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

für ein neugeborenes Kind die gleiche Wahrscheinlichkeit besteht, vor dem durch die wahrschenliche Lebensdauer angezeigten Alter zu sterben, wie auch diese Altersgrenze zu überschreiten. Nach der Sterbetafel von 1871/80 betrug diese Zahl beim männlichen Geschlecht 38,1 Jahre, beim weiblichen 42,5 Jahre, bis 1901/10 war sie auf eine Höhe von 55,2 bezw. 60,6 Jahren angewachsen.

Was besonders bedeutsam erscheint, an der in diesen Zahlen zum Ausdruck kommenden allgemeinen Besserung der Sterbeverhältnisse haben fast alle Altersklassen, vor allem auch die produktiven, teil. Für die im erwerbsfähigen Alter stehenden Klassen (von 15 bis 60 Jahren) ergibt sich seit 1871/80 eine namhafte Erhöhung der mittleren Lebensdauer, beim männlichen Geschlecht um 2,53 und beim weiblichen Geschlecht um 2,46 Jahre. Es werden also von diesen produktiven Klassen jetzt durchschnittlich 2½ Jahre mehr durchlebt als vor 30 Jahren. Hieraus ergibt sich allein für das männliche Geschlecht ein Gewinn von 1⅔ Millionen Arbeitsjahren in jeder Generation.

Der Vorteil, der hierdurch erreicht ist sowohl vom Standpunkt der Privatwirtschaft wie für den Staat, liegt auf der Hand. Er beruht nicht nur in der längeren Erhaltung der wertvollen Arbeitskraft des Einzelnen, sondern auch in der längeren Verwertbarkeit der reichen, kostbaren Erfahrungen, über die das höhere Lebensalter verfügt, und die vom Standpunkt der Interessen des Staates und der Gesellschaft so hochwillkommen sind. Die Verlangsamung des Generationswechsels, das längere Zusammenleben und die intensivere Wechselwirkung der einzelnen Generationen bedeutet eine grössere individuelle und gesellschaftliche Ausnutzung der Lebensarbeit und ihrer Erfolge und eine gesichertere Übertragung der Errungenschaften der einen Generation auf die nächstfolgende. Es wird, wie Heinrich Rauchberg gelegentlich sich ausdrückt, ein Maximum der Bevölkerung und Kultur durch ein Minimum von persönlichem Wechsel erstellt.

Diese trotz der aufreibenden Hast des modernen, insbesondere städtischen und industriellen Erwerbslebens eingetretene günstige Gestaltung unserer Lebensdauer steht in innigem Zusammenhang mit den hervorragenden medizinischen Fortschritten sowohl in bezug auf Bekämpfung und Heilung der Krankheiten wie in bezug auf die Hygiene (Kanalisation, Wasserleitung, Desinfektion) und die prophylaktischen Massnahmen (vor allem gegen die Volkskrankheiten, z. B. Tuberkulose). Weiter war von Einfluss die bessere Versorgung der Bevölkerung mit Ärzten und entsprechenden gut geleiteten Krankenhäusern und nicht zuletzt die Arbeiterschutz- und Arbeiterversicherungs-Gesetzgebung, deren Seele bekanntlich die Prophylaxis ist und die gerade dadurch wesentlich mithilft, dem Arbeiter die Gesundheit, der Nation die Lebenskraft zu erhalten. Neben dieser zielbewussten Gesundheitspflege spielt die mit der Zunahme des Volkswohlstandes ermöglichte instinktive Verbesserung unserer Ernährungs-, Wohnungs- und Pflegeverhältnisse eine Rolle.

Jahr Im 1. Lebensjahr Gestorbene (ohne Totgeborene)
überhaupt eheliche[1] uneheliche[1] auf 100 Lebendgeborene
überhaupt eheliche[1] uneheliche[1]
1901 420 223 361 745 58 478 20,7 19,4 33,9
1902 370 799 321 055 49 744 18,3 17,3 29,3
1903 404 529 351 086 53 437 20,4 19,3 32,7
1904 397 781 344 972 52 809 19,6 18,6 31,4
1905 407 999 353 342 54 654 20,5 19,4 32,6
1906 374 636 324 592 50 044 18,5 17,5 29,4
1907 351 046 302 920 48 126 17,6 16,6 28,0
1908 359 022 308 680 50 342 17,8 16,8 28,5
1909 335 436 288 202 47 234 17,0 16,0 26,8
1910 311 462 267 171 44 291 16,2 15,2 25,7
1911 359 522 308 765 50 757 19,2 18,2 29,9

  1. a b c d Da von den gestorbenen ehelichen Kindern einige unehelich geboren wurden, so sind die hier berechneten Sterblichkeitszahlen bei den ehelichen Kindern etwas zu gross und bei den unehelichen etwas zu klein.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 179. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/195&oldid=- (Version vom 17.9.2021)