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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

sich in den verschiedensten Richtungen, insbesondere in bezug auf die Verteilung der Bevölkerung auch nach Geschlecht, Alter, Familienstand, Haushaltungen, Muttersprache, Staatsangehörigkeit, Religion, sowie in beruflicher und sozialer Hinsicht.

Der Frauenüberschuss, den das Reich aufweist (auf 1000 männliche trafen 1910 1026 weibliche Personen gegen beispielsweise 1039 i. J. 1880) und der unter anderem mit der stärkeren Beteiligung der Männer an den Fern-, an den Überseewanderungen zusammenhängt, ist infolge Nachlassens der ehemaligen Auswanderung etwas zurückgegangen. Anderseits ist durch die Binnenwanderung, namentlich der männlichen Arbeitskräfte von der Landwirtschaft zur Industrie, auch infolge Verlegung von Garnisonen das Bild von der Verteilung der Geschlechter in den einzelnen Reichsgebieten teilweise so erheblich verschoben, dass in einer Reihe von Bezirken (in Rheinland, Westfalen, Elsass-Lothringen) ein Männerüberschuss vorhanden ist. Übrigens existiert der für den Durchschnitt des Reiches festgestellte Frauenüberschuss keineswegs in allen Altersklassen, er gewinnt erst in den Altersklassen mit über 20 Jahren und zwar besonders in den höheren Altersklassen Bedeutung, er ist nicht eine Frage der Jungfrauen, sondern der älteren Witwen und daher für die Heiratsfrage nicht entscheidend.

Bei der Alters- und Familienstandsgliederung des Volkes bewirken die Binnenwanderungen, dass die produktiven Altersklassen und die Ledigen eine stärkere Besetzung in den Grossstädten aufweisen als im Reichsdurchschnitt und insbesondere auf dem Lande, wo die jüngeren und älteren Jahrgänge sowie die verheirateten stärker vertreten sind. Die Familienstandsgliederung zeigt zu Gunsten des verheirateten Elements eine Verschiebung gegen früher. Die Zahl der Verheirateten ist stärker gewachsen als die der Ledigen und der Verwitweten. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung hat seit 1871 um 2% zugenommen (1871: 33,54%; 1880: 33,99; 1890: 33,93; 1900: 34,76; 1910: 35,78). An der erwachsenen (über 15 Jahre alten) Bevölkerung sind die einzelnen Familienstände wie folgt beteiligt (%):

1900       1910
Ledige 37,99 37,37
Verheiratete       53,18 54,25
Verwitwete 8,58 8,06
Geschiedene 0,25 0,32

Der Grund dieser Erscheinung liegt am veränderten Verhalten der einzelnen sozialen Klassen gegenüber der Verehelichung. In den an Zahl ausschlaggebenden unteren Kassen wird mehr und frühzeitiger, in den oberen Klassen weniger und später als ehedem geheiratet. Im ersteren Falle spielt die verringerte, früher vielfach abgewartete Aussicht auf die Möglichkeit, sich selbständig machen zu können, eine Rolle, im letzteren sind es die längere Berufsvorbereitung und die höheren Kulturansprüche, die jetzt für die Eheschliessung, Familiengründung, Kinderzahl mit massgebend geworden sind.

Mit dem eben erwähnten steht in Zusammenhang, dass die Familienhaushaltungen zugunsten der Einzelhaushaltungen etwas zurückgehen, an Zahl ihrer Mitglieder sich vermindern, die einen geringeren Bestand von Familienangehörigen, dagegen einen grösseren Bestand von familienfremden Mitgliedern (Einmieter, Schlafgänger etc.) aufweisen. Die städtische Entwicklung führt also dazu, die Menschen räumlich anzuhäufen, aber haushaltlich zu zersplittern, wobei die Wohnungsnot, die teueren Wohnungspreise in den Städten nicht unerheblich mitwirken. Grössere Familienhaushaltungen sind hauptsächlich nur auf dem Lande nachgewiesen.

Hinsichtlich der Sprachenverhältnisse hat Deutschland im grossen und ganzen den Vorzug der Spracheneinheit: 92% der Bevölkerung bezeichnen (1900) Deutsch als ihre Muttersprache. Der Vorzug wird uns namentlich in den Schwierigkeiten der Sprachenfrage n anderen Ländern, vor allem in Österreich, deutlich ersichtlich. Unsere Spracheneinheit machte im allgemeinen noch weitere Fortschritte, speziell zum Beispiel auch in bezug auf die französisch sprechenden Bevölkerungselemente. Nur die Polen in Preussen machen eine Ausnahme durch ihre fortgesetzt starke Vermehrung: ihre Zahl stieg von 2 Millionen im Jahre 1852 auf 2,8 Millionen im Jahre 1890, auf 3,1 Millionen i. J. 1900, auf 3,3 Millionen i. J. 1905, auf 3,5 Millionen i. J. 1910. Sie befinden sich

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/206&oldid=- (Version vom 18.9.2021)