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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

innewohnt (M. v. Pettenkofer). Ein tüchtiges Volk pflegt seine Gesundheit, um seine volle Kraft für seine Grösse einsetzen zu können.

Der Zuwanderung fremdländischer Elemente müssen wir ein besonderes Augenmerk schenken. Wir müssen auf grössere Selbstdeckung des steigenden Kräftebedarfs durch Massnahmen der oben (S. 181) besprochenen Art Bedacht nehmen.

Des weiteren erheischt die drohende Blutleere des platten Landes dringend Gegenmassnahmen durch Festigung des Landvolks auf dem Lande, durch Wohlfahrts-, Jugendpflege, Haushaltungsschulen, angemessene ländliche Vergnügungen und durch Kleinsiedlungen. Der Bauer muss wieder heimatfroh und heimatstolz auf seiner Scholle werden. Wir müssen den Bauernstand selber verstärken. Darum gilt es, was wir noch an landwirtschaftlichem Boden haben, zu erhalten und zu dem Behuf auch die zum Teil stark um sich greifende Fideikommissbildung zu beschränken, ausserdem im Weg weiterer innerer Kolonisation und Intensivierung der Landwirtschaft (Ausnützung der Moore und Ödländereien) kulturfähiges Land neu zu erschliessen. Dies gebietet schon die Rücksicht auf die vermehrten Aufgaben, die die Landwirtschaft für Ernährung der Bevölkerung mit Brot, Fleisch, Milch zu erfüllen hat, also die Rücksicht auf die wünschenswerte agrarische Selbstversorgung. Aber neben diesen wirtschaftlichen Erwägungen müssen wir aus nationalen, politischen und sozialen Gründen der Landwirtschaft, dem Bauernstand den Rücken stärken. Das Bauernvolk ist der konstitutionell wertvollste Teil der Bevölkerung, die Sterblichkeit des bäuerlichen Berufs zählt zu der niedrigsten. Daher kann die Kolonisation im Innern unermessliche rassenhygienische Werte schaffen, wenn sie energisch fortgeführt wird. Damit steuern wir zugleich der physischen wie politischen Gefahr, die der Gesundheit des Volkes droht aus dem jetzigen mit der Bevölkerungsmehrung zusammenhängenden Hasten und Treiben, aus der lebhaften Neigung aufsteigender Klassenbewegung, aus dem allgemeinen Wahlrecht und der fortschreitenden Volksbildung. Indem wir im Bauerntum pfleglich behandeln, was unsern Volksorganismus jung hält und stetig auffrischt, sichern wir ein politisches Gegengewicht, erhalten wir eine der festesten Säulen des gesamten Staatswesens. – Mit diesem Vorgehen zwecks Erhaltung und Stärkung unsres Bauernstands müssen Massnahmen im Interesse der landwirtschaftlichen Arbeiter Hand in Hand gehen. Gerade weil Letzteren derzeit die wirtschaftliche Stellung des gewerblichen Arbeiters, ähnlich der des mit Pensionsberechtigung angestellten Beamten, so begehrenswert erscheint und sie deshalb in gewerbliche Berufe so vielfach abwandern, gilt es, dem Landarbeiter-Beruf wieder zu erhöhter Anziehungskraft und grösserer Sesshaftigkeit zu verhelfen. Man muss den Landarbeiter in die Lage versetzen, sich durch Erwerb von Eigenland selbständig zu machen, sei es im Weg von Pächter- oder Eigentumsstellen (Rentengüter) oder von Häuslereien, die an langgediente Arbeiter pacht-oder erbpachtweise abgegeben werden. Eine derartige Aufstiegsmöglichkeit wird den Stand der Landarbeiter sozial heben und festigen.

Ebenso verlangen pflegliche Behandlung Industrie, Handel und Verkehr, welche zahlreichen Arbeitskräften Geld und Nahrung geben, für den öffentlichen Haushalt wichtige Finanzquellen repräsentieren, die für staatliche Grösse und Macht so notwendigen Eigenschaften von Schaffenskraft, Mut, Ausdauer, Disziplin innerhalb der Nation entfalten. Und zwar auch in den Reichsgebietsteilen, wo sie einstweilen schwach vertreten aber ausbaufähig sind. Die stellenweise bereits in die Wege geleitete Ausnützung der Wasserkräfte, die weitere Verbesserung der Transportverhältnisse für industrielle Rohstoffe, die Ausgestaltung der Eisenbahnen und Herstellung leistungsfähiger Wasserstrassen (auch im Vollzug des neuen Schiffahrtsabgabengesetzes) werden sich dabei sehr förderlich erweisen. Aber auch auf dem Gebiete der Besteuerung empfiehlt sich jene pflegliche Behandlung, damit nicht die Produktivkraft der Industrie, die Unternehmungslust der Kaufmannschaft im Keim erstickt und lahm gelegt oder gar ins Ausland gedrängt wird. Ebenso verhält es sich mit den Lasten der Sozialpolitik, die die Tragfähigkeit der industriellen Schultern nie ausser acht lassen darf. Allerdings gilt auch die Erfahrung, dass nur der höhere Mensch höhere Werte schaffen kann, dass nur bei höheren Lebensbedingungen, wie sie von unserer sozialpolitischen Meliorationsgesetzgebung (Arbeiterschutz, Jugendpflege, Arbeiterversicherung) angestrebt werden, bessere Waren möglich sind. Gerade aus dem letzteren Gesichtspunkt wird der intelligente Berufsarbeiter immer unentbehrlicher,

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/229&oldid=- (Version vom 22.9.2021)