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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Stärkung der Selbstverwaltungskörper, einer Einschränkung der Staatsaufsicht und einer Dezentralisierung der Verwaltung überhaupt das Wort. Freilich lehnen sie die (in den Kreisen der „freisinnigen Volkspartei“ erhobene) Forderung der vollständigen Verlegung des Schwerpunktes der ganzen Verwaltung in die kommunalen Selbstverwaltungskörper ab.[1]

Gehen wir zu der materiellen Staatstätigkeit über, so ergibt sich schon aus der Stellung der Konservativen zur nationalen Frage, dass sie für die wirksame Sicherung des Staats nach aussen und eine energische äussere Politik eintreten. Aber auch die ganze Geschichte zumal der preussischen Konservativen führt eben dahin. In älterer Zeit sympathisierten die Parteien in der auswärtigen Politik mit denjenigen Staaten, deren Verfassung den eigenen Verfassungsidealen nach Möglichkeit entsprach. Seit Bismarck ist dies anders geworden: heute richten nur noch die ganz links stehenden Parteien ihre Stellung zur auswärtigen Politik nach den eigenen Verfassungsidealen ein. Die andern Parteien fragen lediglich: welche auswärtige Politik wird durch das Interesse unseres Volks gefordert?

Die Erhaltung und Sicherung des Staats ist etwas Elementares; sie muss das prius aller Politik sein. Was hilft alle Diskussion über die schönsten Kulturaufgaben des Staats, wenn man nicht dafür sorgt, dass er und der Bestand der Nation erhalten bleiben![2] Es ist ein Ruhm der Konservativen, dass sie sich zuerst von allen Parteien diesen Gedanken vollkommen zugänglich gezeigt haben. Hiernach versteht es sich von selbst, dass sie stets für ein starkes Heer und eine starke Flotte eintreten. Man stellt es oft so dar, als ob sie als einseitige Agrarier für die Flotte im Grunde nichts übrig hätten, sogar ihre Gegner wären. Gewiss führt den agrarischen Teil der Konservativen, vom kurzsichtig egoistischen Standpunkt aus betrachtet, nichts dahin, eine besondere Verstärkung der Flotte zu wünschen. Allein das entscheidende ist, dass solche kurzsichtig egoistischen Erwägungen die Haltung der Konservativen nicht bestimmen.[3] Gerade ihr Eintreten für eine starke Flotte beweist, dass sie sich nicht lediglich von agrarischen Interessen leiten lassen. Und derselbe Beweis liegt in ihrer Befürwortung einer energischen Kolonialpolitik. Sie fassen dies alles unter dem allgemeinen nationalen und staatlichen Gesichtspunkt auf: das Interesse des Volksganzen verlangt ein starkes Heer, eine starke Flotte, eine energische Kolonialpolitik.

Wenn, wie bemerkt, die Konservativen die Unentbehrlichkeit eines starken Heeres früher als die andern Parteien erkannt haben, so hat sich die konservative Auffassung mehr und mehr auch bei diesen Bahn gebrochen: sie hat damit einen grossen Siegeszug gehalten. Anfangs verhielten sich selbst die Nationalliberalen noch zagend gegenüber den Heeresforderungen der Reichsregierung (man denke an die schwierigen Verhandlungen über das Septennat zu Laskers Zeit). Etwa seit der Abtrennung der Sezessionisten von den Nationalliberalen sind diese aber stets mit ganzer Seele bei der Fürsorge für ein starkes Heer gewesen. Allmählich fasste auch beim Zentrum die Überzeugung Boden, dass ein starkes Heer unentbehrlich sei. Die Freisinnigen hatten noch nach Einführung der zweijährigen Dienstzeit die Heeresforderungen abgelehnt. Eine Annäherung an den konservativen Standpunkt bedeuten für sie namentlich die Reichstagsdebatten vom Dezember 1906 und der bis zum Jahre 1909 bestehende Reichstagsblock.

Einen ähnlichen, freilich bisher noch nicht so vollständigen Siegeszug der konservativen Anschauungen beobachten wir auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik. In dem Programm von 1876 war dem Manchestertum der Krieg erklärt worden; man hatte jedoch noch nicht Schutzzölle verlangt. Die Mehrzahl der preussischen Konservativen (speziell auch der ostdeutschen Landwirte) huldigte in der Zeit vor 1878 dem Freihandelsprinzip. Die damals sich vollziehende Veränderung der weltwirtschaftlichen Lage und die Wirtschafts- und Steuerpolitik Bismarcks bestimmten jedoch die deutschkonservative wie die freikonservative Partei, die Schutzzölle für


  1. Vortreffliche Bemerkungen zu diesem Thema bei J. V. Bredt, Ztschr. für Sozialwissenschaft 1911, S. 64 ff.
  2. Vgl. hierzu Dietrich Schäfer, Politische Geschichte, Deutsche Literaturzeitung 1911, Nr. 20, Sp. 1221 ff.
  3. Der einzige Beweis, den man versucht hat, liegt in dem Hinweis auf das von einem Abgeordneten gebrauchte Wort von „der grässlichen Flotte“. Dieser hat es jedoch gebraucht, ehe er Mitglied der konservativen Partei war, und ihm übrigens keine praktische Folge gegeben.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/24&oldid=- (Version vom 29.8.2021)