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geworden und geblieben. Und in den grossen Linien, wenn auch nicht in den Einzelheiten, ist die Entwicklung auch im übrigen Nordwesten und am Niederrhein ebenso verlaufen.

Anders dagegen in Mittel- und Südwestdeutschland. Hier ist es zu einer geldwirtschaftlichen Umgestaltung der älteren Grundherrschaft im Interesse des Grundherren nicht gekommen: diese blieb hier äusserlich bestehen und verfiel damit innerlich. Da die alten Grundzinsen hier keine der gesteigerten Grundrente entsprechende Erhöhung erfuhren, wurden sie aus einem ursprünglichen Entgelt für die Nutzung der Höfe zu einem blossen Rekognitionszins für das Obereigentum des Grundherrn. Damit wurde das Besitzrecht des Bauern hier ein sehr gutes: Erbzinsrecht oder zinspflichtiges Eigentum. Und der Bauer erlangte auch damit das Recht, den an sich hier klein gebliebenen, nicht wie in Nordwesten vergrösserten Hof zu teilen, wozu die günstigeren klimatischen Verhältnisse dieser Gegenden, mit dem Anbau von Handelsgewächsen und namentlich von Wein, aus technischen Gründen Anlass gaben. So entwickelte sich hier die Freiteilbarkeit schon frühzeitig. Aber der Bauer wurde auf der anderen Seite hier nicht persönlich frei, sondern war einem Erb- oder Leibherrn untertänig, „leibeigen“, der später nicht immer mit dem Grundherrn identisch war, und dazu kam dann hier auch noch hauptsächlich der von ihm regelmässig verschiedene private Gerichtsherr, welchem der Bauer namentlich Dienste zu leisten hatte. So war der Bauer hier bei guten Besitzrechten persönlich stark gedrückt und mehreren Herren Dienste und Abgaben schuldig. Die willkürliche Steigerung dieser Leistungen und die Inanspruchnahme der Almenden durch die Herren führten hier zum Ausbruch des Bauernkriegs, der zwar mit der Niederlage der Bauern endigte, aber doch eine Warnung für die Herren bildete, so dass sich die Lage der Bauern hier seitdem nicht weiter verschlechterte, sondern bis zur Bauernbefreiung eher verbesserte. Letztere war hier nicht aus wirtschaftlichen, sondern hauptsächlich aus politischen Gründen, gegenüber den vielen kleinen Standesherren, schwierig und wurde zwar durch die „Konstitutionen“ vom Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Aufhebung der „Leibeigenschaft“ begonnen, aber in ihrem wichtigsten Teil, der Ablösung der Dienste, Zehnten und Grundzinse, erst durch das Jahr 1848 vollendet, dann allerdings mit geringen Opfern der Bauern und starken Zuschüssen des Staates.

Schwieriger aber gestaltete sie sich noch im Südosten: den südlichen Gebieten Badens und Württembergs und Altbayern. Denn hier herrschte im 18. Jahrhundert eine ähnliche Agrarverfassung wie im Nordwesten: grössere, wenn auch nicht ganz so grosse Bauerngüter, ohne Freiteilbarkeit, zu schlechterem Besitzrecht als im Südwesten besessen. Dazu waren die Bauern ausserdem aber auch wie hier persönlich unfrei, und die Grundherrschaft war zum Teil lebensfähiger geblieben, nicht in blosses Obereigentum übergegangen, ja es finden sich Ansätze zu der gleich zu schildernden Entwicklung des Nordostens, der „Gutsherrschaft“. In Altbayern durften die Bauernhöfe im 16. Jahrhundert von den Grundherren „gelegt“ werden, aber es geschah doch nicht, weil der Staat, der auch hier stark genug war, dies durchzusetzen, eine Steigerung der Frohndienste der Bauern verbot, und andere Arbeitskräfte nicht zur Verfügung standen. So ist auch dieses Gebiet ein Mittel- und Grossbauernland geblieben.

Die Entwicklung im Nordosten dagegen geht ganz auf den kolonialen Charakter des Landes zurück. Daraus erklärt sich, dass von Anfang an neben den Bauern zahlreiche Ritter zur Verteidigung des Landes vorhanden waren, welche wir schon ein Jahrhundert nach vollendeter Kolonisation im Besitz von zahlreichen, z. T. schon ziemlich grossen Ritterhöfen in Mitte der Bauerndörfer finden, doch zunächst nur als Nachbarn der Bauern neben diesen. Aus ihm erklären sich auch die verschiedenen grossen, geographisch abgeschlossene Gebiete bildenden Grundherrschaften des Landesherrn, der grossen Vasallen und der Kirchen und Klöster, welche sich beim Beginn der Kolonisation in das Land teilten und es sämtlich durch eine umfassende bäuerliche Kolonisation besiedelten und germanisierten. Die Lage dieser Kolonisten war zunächst, obwohl sie von Anfang an unter einer dieser Grundherrschaften standen, eine sehr gute: sie hatten persönliche Freiheit und erbliches Besitzrecht. Im Laufe der auf die Kolonisation folgenden Jahrhunderte aber wurden die Rechte, welche der Landesherr als solcher oder als Grundherr an ihnen hatte, bei den ungeordneten finanziellen Verhältnissen der dortigen Staatsgebilde, das Zahlungsmittel, mit welchem er seine Vasallen und Ritter, und jene wieder ihre Ritter bezahlten,

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/249&oldid=- (Version vom 25.9.2021)