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gingen alle nach kurzem Bestand in jener ursprünglich preussischen Gewerbeordnung auf. Sie unterschied sich aber von dem französischen Vorbild in der Hauptsache dadurch, dass sie die Zünfte, ebenso wie 1810, nicht ganz aufhob, sondern unter dem Namen „Innungen“ als private Korporationen weiter bestehen liess. Hier hat dann die moderne Handwerkerpolitik mit ihren Versuchen zur Neubelebung ihrer Bedeutung und zu einer neuen Organisation des Handwerks wieder angeknüpft.

III.

Noch mehr als die Geschichte der Agrarpolitik und der Gewerbepolitik ist naturgemäss die der Handelspolitik von der allgemeinen politischen Geschichte Deutschlands beeinflusst. Denn gerade hier musste es sich am stärksten geltend machen, dass aus Deutschland nicht, wie aus den Nachbarländern, im 16. Jahrhundert ein moderner geschlossener Nationalstaat mit Überwindung der feudalen Mächte durch eine starke zentralisierte Staatsgewalt geworden ist, welche das ganze Wirtschaftsleben zu regeln übernahm und in den anderen Ländern vor allem eine nationale Handelspolitik trieb. Während dadurch jene zu einheitlichen Wirtschaftsgebilden, zu wahren „Volkswirtschaften“ mit freiem inneren Verkehr und nationaler Arbeitsteilung wurden, blieb Deutschland in seine zahllosen Territorien zersplittert, durch welche der Handelsbetrieb mit ungezählten Lasten, Zöllen, Stapelprivilegien usw. erschwert wurde. Zwar wollte auch das alte Deutsche Reich am Anfang des 16. Jahrhunderts einmal einen Versuch zu einer Reichszollpolitik mit Schaffung eines an der Reichsgrenze zu erhebenden Reichszolls machen, aber der dreissigjährige Krieg begrub dieses Projekt, das von nicht abzumessender, auch politischer Bedeutung gewesen wäre. Infolge dieser politischen Entwicklung erlangte Deutschland aber auch keinen Anteil bei jener ersten Aufteilung der Welt: keine Handelsniederlassungen in Asien und keine Kolonien im neuen Weltteil, und die Wirkungen der Auffindung des Seewegs nach Ostindien und der Entdeckung Amerikas mussten daher, wenn auch nicht sofort, so doch auf die Dauer, überwiegend nachteilig für seinen Handel und seine grossen Handelsstädte werden, wobei nach Sombarts allerdings angefochtener Darstellung auch die Vertreibung der Juden aus diesen eine wichtige Rolle gespielt haben soll, so dass es nicht zufälligerweise gerade nur Frankfurt und Hamburg waren, welche weiter blühten, und von denen ein neuer Aufschwung des deutschen Handels seinen Ausgang nahm.

Die Handelspolitik in den deutschen Territorien aber war im wesentlichen noch die der „Stadtwirtschaft“, nur wenige grössere suchten im ganzen die merkantilistische Handelspolitik der grossen Nachbarstaaten nachzuahmen, nur Preussen gelang es aus den oben angegebenen Gründen wirklich. Aber auch hier fehlte dabei noch die Handelsfreiheit im Innern, die Zölle wurden als „Accisen“ an den Stadttoren erhoben, und es bestanden ausserdem noch Provinzialzölle. Es war die politische Entwicklung wiederum, die Besetzung der Mark Brandenburg durch die Franzosen, welche dieses System hier zuerst gewaltsam durchbrach und zur Einführung mässiger Einfuhrzölle, dem System der (gemässigten) „Handelsfreiheit“ an Stelle des Prohibitivsystems des Merkantilismus führte. Nach dem Intermezzo der Kontinentalsperre wurde dieses System dann endgiltig durch die dritte der grossen freiheitlichen Reformen im Jahre 1818 für ganz Preussen eingeführt, und es waren wiederum wesentlich politische Momente (die damalige Gestaltung des preussischen Staatsgebietes, seine Zerrissenheit in zwei getrennte Teile mit zahlreichen Enklaven und Exklaven an den inneren Seiten, also einer schwer oder gar nicht zu bewachenden Grenze), welche die ausserordentlich niedrigen Schutzzölle von nur 10% vom Werte notwendig machten, – zu einer Zeit, da England, die Heimat des „Freihandels“, ebenso wie Frankreich, noch vollständig protektionistisch war.

Die politischen Verhältnisse zwangen dann Preussen auch zunächst, die zwischen und in seinem Gebiete liegenden Staaten sich durch Zollanschluss zu verbinden und weiter auch auf die handelspolitische Einigung von ganz Deutschland unter Führung Preussens – also ohne Österreich – hinzuarbeiten und damit die politische Einigung vorzubereiten. Es sind bekanntlich drei Männer gewesen, welche das Verständnis für die Notwendigkeit einer solchen handelspolitischen Einigung verbreitet und zugleich die Wege zu ihrer Verwirklichung in Wort

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/253&oldid=- (Version vom 25.9.2021)