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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

3. Die christlich-soziale Partei erblickt die vornehmste Hilfe für die Schäden unseres Volkes in der Geltendmachung der Lebenskräfte des Evangeliums auf allen Gebieten. Sie will Staat und Gesellschaft, Haus und Persönlichkeit unter den Einfluss des lebendigen Christentums stellen und dadurch für die Erneuerung des deutschen Geistes die allein wirksame Grundlage schaffen helfen. Als eine der ersten Bedingungen dazu fordert sie die Besetzung der Beamtenstellen, besonders der hervorragenden, mit sittlich tüchtigen Persönlichkeiten.
4. Die christlich-soziale Partei sieht in dem korporativen Aufbau des Volkes unter Wahrung seiner politischen Rechte das Mittel wider den gewaltsamen Umsturz des Bestehenden. Sie erstrebt eine mit Pflichten und Rechten ausgestattete Berufsvertretung für jeden Stand.
5. Die christlich-soziale Partei verfolgt als Ziel die friedliche Lösung der sozialen Schwierigkeiten auf dem Wege einer starken Sozialreform durch die Verringerung der Kluft zwischen reich und arm und das ehrliche Zusammenwirken aller Stände an der Einheit, Freiheit, Ehre und Grösse des Vaterlandes unter der Führung eines volkstümlichen Kaisertums.

Die Einzelforderungen lauten:

1. An die Staatspolitik:

1. Erhaltung einer starken Monarchie. Bundesstaatliche Verfassung.
2. Wahrung der politischen Rechte des Volkes, insbesondere des Reichstagswahlrechts. Geheime Abstimmung für alle Wahlen.
3. Volle Selbständigkeit der Kirchen in kirchlichen Dingen. Keine Bedrückung der Freikirchen und Gemeinschaften.
4. Erhaltung der konfessionellen Schule. Wahrung der konfessionellen Rechte bei den bestehenden Simultanschulen. Möglichste Durchführung einer einheitlichen Volkserziehung in den ersten Schuljahren. Gesetzliche Zulassung freier Schulen unter staatlicher Aufsicht. Ausreichende Staatsbeihilfe zum Besuche höherer Schulen für begabte Kinder unbemittelter Eltern. Pflichtfortbildungsschule. Fachliche Schulaufsicht. Beaufsichtigung des Religionsunterrichts durch die Kirche.
5. Einrichtung der Staats- und Gemeindebetriebe zu Musterbetrieben. Organisationsrecht der Staats- und Gemeindeangestellten. Beamtenausschüsse.
6. Übernahme geeigneter Betriebe in öffentlich-rechtlichen Besitz, sofern es das Gemeinwohl erfordert.
7. Einführung eines Rechtes, das die Benutzung des Bodens fördert und die Wertsteigerung, die er ohne die Arbeit einzelner erhält, möglichst dem Volksganzen nutzbar macht.
8. Verminderung der Eide. Mitwirkung von Laien in der Rechtsprechung. Durchdringung unseres Rechtslebens mit sozialem Geist nach deutschen Anschauungen.
9. Schärfere Bekämpfung der öffentlichen Unsittlichkeit.

II. An die Wirtschafts- und Gewerbepolitik:

1. Schutz der deutschen Arbeit in Stadt und Land. Schutz der einheimischen gegen die ausländischen Arbeiter.
2. Staatliche Massregeln zur Erhaltung eines gesunden und zur Einschränkung eines übergrossen Grundbesitzes. Schutz gegen Güterschlächterei. Förderung ländlicher Wohlfahrt und Heimatpflege. Reform des Hypothekenwesens im ländlichen Grundbesitz. Festsetzung der Verschuldungsgrenze und planmässige Entschuldung. Ansässigmachung ländlicher Arbeiter und innere Ansiedlung.
3. Befähigungsnachweis. Umfassende Bekämpfung des unlautern Wettbewerbs. Erweiterung der Innungsrechte. Staatliche Förderung von Handwerk und Gewerbe.
4. Erhaltung und Erhöhung der Konkurrenzfähigkeit der Industrie durch eine nationale Wirtschaftspolitik.

III. An die Sozialpolitik.

1. Einordnung des Arbeiterstandes in den gesamten Volks- und Gesellschaftskörper auf Grundlage der Gleichberechtigung.
2. Sicherung des Koalitionsrechts. Staatliche Anerkennung der Berufsvereine, Förderung der Tarifbestrebungen. Reichsarbeitsamt.
3. Festsetzung eines gesundheitlichen Höchstarbeitstages nach Art des Berufes und Gewerbes. Schutz der Arbeiter und Angestellten gegen gesundheitswidrige Zustände in den Arbeitsräumen.
4. Ausbau der bestehenden Versicherungsgesetzgebung und Ausdehnung derselben auf alle Minderbemittelten. Verstärkter Wöchnerinnenschutz. Förderung der Arbeitslosenfürsorge.
5. Unentgeltlicher paritätischer Arbeitsnachweis.
6. Arbeiterschutz in der Hausindustrie. Festsetzung verbindlicher Mindestlohntarife durch Lohnämter für geeignete Massensachen.
7. Tunliche Durchführung der 36stündigen Sonntagsruhe.
8. Ausdehnung der Ruhe auf die Angestellten des Verkehrs- und Schankgewerbes, besonders an Sonntagen.
9. Öffentliche Regelung und Beaufsichtigung der Wohnungsverhältnisse.
10. Wirksame Beaufsichtigung aller Syndikate und Trusts und Massnahmen gegen ausbeuterische Privatmonopole.
11. Handelsaufsicht. Privatbeamten-Versicherung.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/29&oldid=- (Version vom 29.8.2021)