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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

durchgehenden grossen Wasserweg quer durch Europa von der Nordsee zum Schwarzen Meer schaffen. Sie würde das im Ausbau befindliche grosse österreichische Wasserstrassennetz mit seinen geplanten Verbindungen zur Oder und den russischen Flussläufen sowie die Länder an der unteren Donau eng an das deutsche Wirtschaftsgebiet des Rheines anschliessen.

Die Donau selbst steht allerdings in ihrem deutschen Oberlauf als Wasserstrasse erheblich hinter dem Rhein zurück. Sie wird aber nach den im Auftrag des Vereins zur Hebung der Fluss- und Kanalschiffahrt in Bayern angestellten Untersuchungen von Reg.- und Baurat Faber[1] aufwärts bis Kellheim durch Regulierung für 600–700 Tonnen-Kähne ausgebaut werden können, während von hier an aufwärts bis Ulm ein Seitenkanal zur Donau den Vorzug verdient. Es ist zu erwarten, dass nach Herstellung einer schiffbaren Verbindung zum Rheingebiet der noch wenig entwickelte Donauverkehr stark zunehmen wird.

Durch die Erbauung der besprochenen württembergischen und bayrischen Wasserstrassen würde das südöstliche Deutschland zum Rhein und zur Donau hin schiffbare Anschlüsse, und das mitteleuropäische Wasserstrassennetz erst seinen Schluss und seine volle Leistungsfähigkeit erhalten. Die grösstenteils durch die verschiedenen Schiffahrtsverbände ausgeführten Untersuchungen und Studien haben gezeigt, dass es mit den zur Verfügung stehenden technischen Mitteln zweifellos möglich sein wird, alle genannten Wasserstrassen zu erbauen und dadurch die bestehenden Wünsche der süddeutschen Staaten nach besseren Verkehrswegen zu befriedigen. Diese Schiffahrtswege würden dem dringenden Bedürfnis nach einer grosszügigen verkehrspolitischen Erschliessung Süddeutschlands zunächst jedenfalls vollauf genügen, wenn sie Abmessungen erhalten, welche wenigstens für 600 Tonnen-Schiffe, besser aber noch für 1000 Tonnen-Schiffe genügen. Für die Rheinstrasse zum Bodensee sollte nach der Ansicht des Verfassers sogar mit 1100 bis 1800 Tonnen-Schiffen gerechnet werden. Durch Stichkanäle könnten die nicht berührten Verkehrspunkte leicht an die genannten Hauptwasserstrassen angeschlossen werden.

Die Frage der Wirtschaftlichkeit eines so umfangreichen Netzes grosser Wasserstrassen lässt sich natürlich nicht ohne weiteres einwandfrei beantworten. Die Anlagekosten werden sehr hohe sein und lassen sich auf Grund der schon aufgestellten Entwürfe – einschliesslich der erforderlichen Stichkanäle, Hafenanlagen und Gleisanschlüsse – auf fast 800 Millionen Mark veranschlagen.

Diese Summe erscheint gewaltig und wird manchen veranlassen, die Durchführbarkeit dieser Wasserstrassenpläne in Zweifel zu ziehen. Es darf aber nicht ausser acht gelassen werden, dass es sich um Anlagen von einer ganz hervorragenden Bedeutung für die Zukunft eines ausgedehnten Gebietes mit weit über 8 Millionen Menschen handelt, die in ihrer wirtschaftlichen Existenz durch die Ungunst der Verkehrsverhältnisse schwer bedroht sind, und in leistungsfähigen Wasserstrassen mit Recht das hauptsächlichste Mittel erblicken, im wirtschaftlichen Wettkampf mit dem übrigen Deutschland, namentlich aber mit dem Ausland in der Zukunft bestehen zu können.

Dem Verfasser erscheint es nicht zweifelhaft, dass ein grosszügiges Netz von Grossschiffahrtswegen für Süddeutschland notwendig ist und sich jedenfalls als ein in hohem Grad lohnendes Unternehmen herausstellen wird, zumal wenn nicht nur die unmittelbaren Einnahmen der Wasserstrassen in Rechnung gestellt, sondern auch alle die vielen mittelbaren Vorteile berücksichtigt werden, die sich im einzelnen schwer nachweisen lassen, die aber infolge des wirtschaftlichen Aufblühens weiter Gebiete, der Zunahme der Bevölkerung, der Ansiedelung neuer Industrien und der Hebung der Steuerkraft dem Einzelnen sowohl, wie der Gesamtheit zugute kommen werden.

Da neue Wasserwege nicht nur dem schon vorhandenen Güteraustausch dienen, sondern in beträchtlichem Umfang selbst neuen Verkehr schaffen, indem sie das ganze Wirtschaftsleben heben und den Austausch billiger Massengüter, deren Versand nur bei den niedrigen Frachtsätzen der Wasserstrassen lohnend ist, erst ins Leben rufen, versagt bei der Berechnung des zu erwartenden Zukunftsverkehrs die Statistik fast vollständig. Die Erfahrung aber hat gelehrt, dass bei der Verbilligung der Frachtsätze durch die Eröffnung von Wasserstrassen der Verkehr meist sprunghaft und oft in wenigen Jahren auf ein Vielfaches der früheren Grösse anwächst. Das wird bei der Berechnung des auf neuen Wasserstrassen zu erwartenden Verkehrs, mehr aber noch bei den Aufstellungen


  1. Eduard Faber. Denkschrift über die Verbesserung der Schiffbarkeit der bayerischen Donau und über die Durchführung der Grossschiffahrt bis nach Ulm 1905.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 284. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/300&oldid=- (Version vom 2.10.2021)