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weil hier die Nachfrage nach bestimmten Gegenständen sich häuft und der Boden für „Spezialgeschäfte“ gegeben ist. Tatsächlich kommt es denn auch ziemlich häufig vor, dass Koffer-, Schuh-, Stock-, Handschuh-, Möbel- und andere Fabriken in den Grossstädten den selbständigen Zwischenhandel ausschalten – um Handelsunternehmungen mit kaufmännischem Personal handelt es sich aber trotzdem. Überdies sind solcher Entwicklung verhältnismässig enge Grenzen gezogen, weil der Produzent in diesem Falle auf das Kapital des Handels verzichtet und deshalb mit viel grösserem eignem Kapital arbeiten muss und er ausserdem die Leitung dieser Verkaufsstellen immer Dritten anzuvertrauen hat, die mit ihrem Vermögen für den Gang des Geschäftes nicht verantwortlich sind. – Vielfach suchen die Produzenten den Zwischenhandel auch dadurch auszuschalten, dass sie ihre Erzeugnisse auf Grund von Katalogen direkt an den Verbraucher versenden. Doch auch dafür ist der Spielraum nicht gross, weil vielfach der Bedarf entweder sofort befriedigt werden soll oder aber die Inaugenscheinnahme der Artikel gewünscht wird.

Man wird deshalb behaupten dürfen, dass auch der Detailhandel in der Regel unentbehrlich ist. Damit ist freilich über die Häufigkeit seines Vorkommens noch nichts gesagt. Es kann nämlich keinem Zweifel unterliegen, dass der Kleinhandel fast überall „übersetzt“ ist und in den meisten Orten dem Bedürfnis mit der Hälfte der ortsansässigen Händler völlig genügt würde. Auf diese Weise entstehen tatsächlich sehr viele Existenzen, die nur mit einem Teil ihrer Arbeitskraft tätig sind und im übrigen vor den Türen ihrer Läden herumlungern – in den Kleinstädten oft ein widerliches Bild. Die Möglichkeit der unbeschränkten Niederlassung, die Meinung, als „Kaufmann“ ein verhältnismässig bequemes Leben führen zu können, der Drang nach Selbständigkeit, die Methode der Bauunternehmer, überall – auch in den Vorstädten – Läden einzubauen, ein ungesundes Kreditsystem und manches andere haben zu dieser Erscheinung geführt. Das Übel wird noch dadurch verschlimmert, dass sich zum Kleinhandel sehr oft völlig ungeeignete Elemente drängen, die in einem anderen Beruf Schiffbruch gelitten haben oder glauben, als Kaufmann angenehmer durchs Leben zu gehen. Die Zahl derjenigen Detaillisten, die keine Lehrzeit durchgemacht haben, ist erschreckend gross. Kein Wunder, dass sich im Detailhandel sehr ungesunde Zustände herausgebildet haben und der Ruf nach dem Staat immer lauter wird, dessen Aufgabe es aber kaum sein kann, jedem, der leichtsinniger Weise irgendwo einen Laden aufmacht, die bürgerliche Existenz zu sichern. Es könnte sonst leicht dahin kommen, dass aus dem „staatserhaltenden Mittelstand“ ein vom Staat erhaltenes Detaillistenproletariat entstünde. – Es sei im übrigen aber wiederholt, dass diese Zustände den Blick nicht trüben dürfen für die Erkenntnis, dass der Detailhandel an sich volkswirtschaftlich zweifellos nützliche Funktionen übt.

Auch für die Landwirtschaft ist der Handel unentbehrlich. Abgesehen von dem Absatz in die benachbarten Städte (Wochenmarkt, Markthallen) sieht der Landwirt sich in der Regel ausserstande, seine Produkte ohne den Zwischenhändler, den sog. Aufkäufer, der seinerseits zumeist mit einem Grosshändler in Beziehung steht, zu auskömmlichen Preisen abzustossen. Gerade in der Landwirtschaft macht sich der Ausgleich örtlicher und zeitlicher Preisunterschiede durch den Handel besonders deutlich fühlbar.

Die volkswirtschaftlich nützlichsten Funktionen übt der Handel aber zweifellos im Verkehr mit dem Ausland. Bei der Erschliessung neuer Wirtschaftsgebiete ist der Kaufmann der Pionier, dessen Wagemut und Ausdauer für die Intensität wirtschaftlicher Beziehungen entscheidend ist. Ohne den sog. Exporthandel ist in Ländern mit mangelhaft entwickelter Rechtspflege und politisch unsicheren Zuständen ein stetiger Absatz von Erzeugnissen so gut wie ausgeschlossen. Aber selbst im Geschäft mit höherentwickelten Ländern ist der sog. „direkte Verkehr“ ausserordentlich gewagt und hat vielen Industriellen, die den Exporthandel um der Ersparnis der Kommissionsgebühr willen umgingen, schwere Verluste gebracht. Freilich liegt gerade hier noch manches im Argen. Der Handel ist, wie kaum eine andere Institution, international, indem der Kaufmann unter allen Umständen immer dort kauft, wo er das grösste Geschäft macht. Selbstverständlich! Jede Volkswirtschaft hat aber ein Interesse daran, gerade ihre Produkte auf den Weltmarkt zu bringen, und der Industrielle erwartet vom Kaufmann seiner Nationalität, dass er ihn in erster Linie berücksichtigt. Hieraus ergeben sich mancherlei Konflikte, die dann letzten Endes Ursache jenes direkten Verkehrs werden. Besseres Hand- in Hand-Arbeiten von Handel und Industrie im Interesse einer nationalen Exportpolitik ist daher dringend erwünscht. Selbstverständlich wird man vom Handel

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/329&oldid=- (Version vom 8.10.2021)