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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Am 16. April 1894 beschloss der Reichstag die verbündete Regierung zu ersuchen auf Grund der Ergebnisse der Börsenenquete dem Reichstag den Entwurf eines Börsengesetzes tunlichst bald vorzulegen.

III. Auf Grund dieser Resolution ging am 3. Dezember 1895 dem Reichstag der Entwurf eines Börsengesetzes nebst einer ausführlichen Begründung zu, und zwar gleichzeitig mit dem Entwurf des späteren Bank-Depot-Gesetzes. Der Entwurf schloss sich in den wesentlichen Punkten den Vorschlägen der Börsenenquetekommission an. Nur erstreckte er die Börsenterminregister auch auf den Handel mit Wertpapieren.

Der Reichstag ging dagegen noch ganz erheblich in der Beschränkung des Börsenterminhandels über diese Vorschläge hinaus. Nachdem bereits die Reichstagskommission den Börsenterminhandel in Anteilen von Bergwerks- und Fabrikunternehmungen untersagt hatte, dehnte das Plenum in zweiter Lesung dieses Verbot auf den börsenmässigen Terminhandel in Getreide und Mühlenfabrikaten aus. Am 22. Juni 1896 erhielt das Gesetz die kaiserliche Signatur, am 1. Juli 1896 trat es in Kraft.

IV. Sehr bald zeigte sich, dass das Börsengesetz in seinen wichtigsten zivilrechtlichen Bestimmungen ein Fehlschlag war. Das Terminregister versagte vollständig; kaum einige hundert Personen liessen sich eintragen. Die Möglichkeit der Erhebung des Registereinwandes, die selbst Bankiers, langjährigen Börsenbesuchern usw. offen stand, führte in zahlreichen Fällen zu schweren Verletzungen von Treu und Glauben. Da die Spekulation den börsenmässigen Terminhandel in Fabrik- und Bergwerksanteilen nicht vollständig entbehren konnte, suchte der Börsenhandel für diese Spekulation neue Formen zu finden, die tatsächlich Zeitgeschäfte waren, formell sich aber als Kassageschäfte repräsentierten. Sollten daher die Bestimmungen über den Börsenterminhandel nicht bloss auf dem Papier stehen, so musste der oberste Gerichtshof dem Gesetzgeber zu Hilfe kommen und Geschäfte als Börsentermingeschäfte behandeln, die zweifellos nicht unter die gesetzliche Definition des Börsentermingeschäftes fielen, wie sie § 48 Börsengesetz aufstellte.

Endlich aber entbehrte der börsenmässige Produktenzeithandel jeglicher rechtlichen Sicherheit. Die tatsächliche Unentbehrlichkeit eines börsenmässigen Getreidezeithandels kollidierte mit dem absoluten Verbot des Getreideterminhandels und führte zur Einrichtung eines börsenmässigen Lieferungshandels an der Berliner Börse, dessen rechtlicher Bestand jedenfalls zweifelhaft war.

Alle diese Umstände liessen sehr bald eine Reform des Börsengesetzes angezeigt erscheinen. Die Entwürfe von 1904 und 1906 kamen infolge des Schlusses der Session und der Auflösung des Reichstages nicht zur Verabschiedung. Erst der dritte Entwurf der Novelle brachte die dringend notwendige Reform. Das Börsenterminregister fiel, das unbedingte Verbot des Börsenterminhandels wurde praktisch erheblich gemildert. Die Novelle datiert vom 8. Mai 1908, sie ist am 1. Juni 1908 in Kraft getreten.

V. Das Börsengesetz enthält keine vollständige Regelung des Börsenwesens. Es beschränkt sich vielmehr auf die Normierung der allgemeinen Grundlagen des Börsenrechtes. Seine notwendige Ergänzung erhält es durch die einzelnen Börsenordnungen. Eine solche Börsenordnung ist für jede Börse zu erlassen.

Der erste Abschnitt (allgemeine Bestimmungen über die Börse und deren Organe) unterstellt zunächst die Errichtung jeder Börse der Genehmigung der Landesregierung. Die Regierung übt gleichzeitig die Aufsicht über die Börse aus. Die unmittelbare Aufsicht kann sie Handelsorganen, Handelskammern und kaufmännischen Korporationen übertragen. Ihr steht auch das Recht zu, bestehende Börsen aufzuheben. Als Organ der Landesregierung funktionieren bei den einzelnen Börsen sogenannte Staatskommissare, deren wesentliche Aufgabe die Kontrolle des gesamten Börsenwesens ist.

Der Inhalt der Börsenordnung ist teils obligatorischer, teils fakultativer Natur. Obligatorisch sind für jede Börsenordnung Bestimmungen: 1. über die Börsenleitung und ihre Organe; 2. über die Geschäftszweige, für welche die Börseneinrichtungen bestimmt sind;

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 347. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/363&oldid=- (Version vom 15.10.2021)