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1873 bestimmte, dass „an die Stelle der bestehenden Landeswährungen die Reichsgoldwährung tritt“, und zugleich enthielt es die nötigen Vorschriften über die als Scheidemünzen dienenden unterwertigen Reichssilbermünzen und die Reichsnickel- und Kupfermünzen (mit Zahlungskraft bis zu 1 Mark). Die Prägung von Scheidemünzen kann natürlich nur für Reichsrechnung erfolgen, Goldmünzen zu 20 Mark dagegen können auch für Private gegen eine Gebühr von 3 Mk. für das Pfund Feingold (1395 M.) geprägt werden. Die vorhandenen alten Gold-, Silber- und Scheidemünzen wurden in den nächsten Jahren eingezogen und ausser Kurs gesetzt, mit Ausnahme jedoch der Taler. Über diese bestimmt das Gesetz vom 6. Januar 1876, dass sie durch Bundesratsbeschluss bis zu ihrer Ausserkurssetzung in die Reihe der Reichssilbermünzen mit beschränkter Zahlungskraft gestellt werden könnten. Ein solcher Beschluss ist jedoch nie gefasst worden, die Taler sind bis zu ihrer Ausserkurssetzung (am 1. Oktober 1907) Währungsgeld geblieben und Deutschland hat demnach bis dahin „hinkende Doppelwährung“ gehabt. Der vollen Durchführung der Münzreform hatte sich eben eine unvorhergesehene Schwierigkeit entgegengestellt: die Silberentwertung. Diese nahm schon im Herbst 1873, gleichzeitig mit den ersten deutschen Silberverkäufen, ihren Anfang, und sie wurde bald wesentlich befördert durch die bereits erwähnte Beschränkung und Einstellung der Silberprägung in den Staaten des lateinischen Münzbundes. Der schützende Einfluss der französischen Doppelwährung auf das Wertverhältnis der beiden Edelmetalle, der dem Golde so sehr zugute gekommen war, wurde also dem Silber entzogen, und überhaupt wurde ihm das früher so sichere Unterkommen bei den Münzstätten mehr und mehr versperrt. Die Vereinigten Staaten prägten kein Silber mehr, Holland prägte seit 1875 Goldwährungsmünzen und stellte die Silberprägungen ein. Die drei skandinavischen Staaten gingen 1872 und 1873 auf Grund einer Münzkonvention zur Goldwährung über und verkauften ihr Silber. Dazu aber kam eine ausserordentliche Steigerung der Silberproduktion infolge der Erschliessung der Minen im Westen der Vereinigten Staaten. Sie hatte 1878 schon 410 Mill. Mark (nach dem alten Wert) erreicht, gegen 160 Mill im Durchschnitt der Jahre 1851–1860, und nahm von Jahr zu Jahr noch weiter zu. Der Londoner Preis, der dem Wertverhältnis 15½ : 1 entspricht, ist 6013/16 Pence für die Unze Münzsilber (von 37/40 Feinheit), der wirkliche Preis aber ging 1876 schon zeitweilig aul 46¾ Pence und 1878 auf 49 Pence zurück. Alle Staaten, die noch grosse Silberbestände besassen, wurden durch diesen Preisrückgang mit empfindlichen Verlusten bedroht. Der Handel mit Ostindien und China, wo in Silber gezahlt wird, wurde geschädigt, und andererseits klagte die europäische Landwirtschaft über die Erleichterung der Konkurrenz des indischen Weizens durch die Valutadifferenz. Am meisten aber wurden natürlich die Silberproduzenten betroffen, die in den Vereinigten Staaten einen weitreichenden Einfluss ausübten. Zur Bekämpfung des Übels trat nun der sogenannte Bimetallismus mit seinem Programm einer vertragsmässigen internationalen Doppelwährung hervor. Alle wirtschaftlich bedeutenden Staaten sollten das gemeinsame Wertverhältnis 15½ : 1 (oder, wie man später zugestand, ein zugunsten des Goldes erhöhtes) annehmen und nach diesem die freie Ausprägung von Gold- und Silbermünzen mit unbeschränkter Zahlungskraft gestatten. Wenn die französische Doppelwährung, so meinte man, imstande gewesen sei, 70 Jahre lang die Schwankungen des Wertverhältnisses in engen Grenzen zu halten, so werde dieses durch eine solche Vereinbarung fast absolut festgelegt werden können. Auf drei internationalen Münzkonferenzen (1878, 1881 und 1892) wurde dieses Projekt prinzipiell nicht ungünstig beurteilt, aber jeder Staat wünschte, dass die anderen praktisch den Versuch machen möchten. Deutschland stellte 1879 die Verkäufe von Talersilber ein, die schon erhebliche Verluste gebracht hatten. Die Vereinigten Staaten gingen mit einer positiven Massregel vor, indem sie auf Grund der sogenannten Blandbill 1878 die Ausprägung von Standardsilberdollars wieder aufnahmen, aber nur auf Rechnung des Bundes und in beschränkter Menge, nämlich monatlich mindestens zwei und höchstens vier Millionen Dollars. Aber angesichts der fortwährenden Zunahme der Silberproduktion blieb diese Massregel ohne jede Einwirkung auf den Silberpreis. Noch weiter ging die Sherman-Akte von 1890, nach der monatlich 4½ Millionen Unzen Silber mittels eines besonderen Papiergeldes, der Treasury notes, angekauft und aufgespeichert werden sollten. Ausgemünzt würde dieses Silberquantum jährlich beinahe 70 Mill. Doll, darstellen. Aber auch diese „Valorisation“ bewirkte nur eine bald vorübergehende Hebung des Silberpreises, da die Produktion schon 1891 über 800 Mill. M. (nach dem alten Wert) und später über 900 M. M. hinausging.

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 355. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/371&oldid=- (Version vom 16.10.2021)