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als bisher muss ferner, zumal in den Gegenden mit vorwiegendem Grossgrundbesitz, die innere Kolonisation in Angriff genommen werden, um solange es noch möglich ist, die ländliche Bevölkerung zu vermehren und den jetzt besitzlosen Arbeiter an das Land zu fesseln. Die Abwanderung der eingeborenen Bevölkerung vom Lande in die Stadt und ihr Ersatz durch ausländische Wanderarbeiter nimmt immer gefährlichere Dimensionen an und ist in wirtschaftlicher wie politischer Beziehung ein ganz bedenklicher Missstand. Man kann noch so sehr von der Notwendigkeit der Erhaltung eines genügenden Grossgrundbesitzes überzeugt und doch der Ansicht sein, dass eine Aufteilung einzelner grosser Güter unter kleine Bauern- und Arbeiterstellen und eine Ansiedlung von Arbeitern auf Abspliessen der grossen Güter eines der dringendsten Bedürfnisse der modernen Landwirtschaft sei, wenn nicht die Entvölkerung des Landes und das Überwiegen der städtischen Bevölkerung die grössten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Übelstände herbeiführen soll, die schliesslich auch für den Grossgrundbesitz verderblich werden würden. Alle diese Massnahmen würden aber auf die breite Masse der bäuerlichen Bevölkerung von ungenügendem Einfluss bleiben, wenn nicht in viel grösserem Umfang und mit viel grösseren Mitteln als bisher für eine bessere Fachbildung der bäuerlichen Bevölkerung gesorgt würde. Dies Bestreben müsste schon in der Elementarschule einsetzen, die zwar keinen Fachunterricht erteilen soll, aber in der die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Landwirtschaft viel ausgiebiger als jetzt gelernt werden sollten. Auch könnte mit der Heimatkunde sehr gut eine Belehrung über die Elemente des Genossenschaftswesens und sonstiger einschlagender Teile der Verwaltungskunde verbunden werden. Hierzu gehörten freilich Lehrer, die schon auf den Seminaren entsprechend für ihre künftige Wirksamkeit als Landlehrer ausgebildet worden wären. Ungemein wichtig wäre auch gerade für das Land die Pflege des Handfertigkeitsunterrichts und es würde auch garnichts schaden, wenn an diesen Unterrichtszweigen in der Elementar- wie in der Fortbildungsschule einzelne teilnehmen müssten, die nachher zu einem andern als dem landwirtschaftlichen Beruf übergehen. Für die zukünftigen Bauerngutsbesitzer müsste dann ein weiterer Fachunterricht in Ackerbau oder Winterschulen eintreten, die so verbreitet sein müssten, dass sie allen ohne zu grosse Kosten erreichbar wären. Dass daneben auch für den höheren landwirtschaftlichen Unterricht entsprechend zu sorgen wäre, ist selbstverständlich. Für den bäuerlichen Landwirt hat sich an die Winterschule anzuschliessen das Wanderlehrertum, was für einzelne Zweige der Landwirtschaft von Spezialisten oder im allgemeinen durch die Fachlehrer der Winterschulen auszuüben ist. Mit der Belehrung muss Hand in Hand gehen eine ausgedehnte Versuchstätigkeit, die sich entweder auf einzelne Kulturen oder auf ganze Beispielswirtschaften zu erstrecken hat. Grade weil der Landwirt, speziell der Bauer, die Konkurrenz nicht fühlt, muss man mit andern Mitteln zum Anreiz zu landwirtschaftlichen Verbesserungen auf ihn einwirken und den Ehrgeiz, ja selbst den Neid und die Missgunst auf die Erfolge anderer zur Hilfe rufen. Dem gleichen Zweck dient ja auch das ausgedehnte und staatlich unterstützte landwirtschaftliche Ausstellungs- und Prämierungswesen, welches den Antrieb geben soll, die erlangten besseren Fachkenntnisse, das Wissen auch in Taten umzusetzen. Alle Mittel, welche der Staat zu Zwecken der Förderung der Landwirtschaft aufwendet, gehören sicherlich, bei richtiger Durchführung dieser Massregeln, zu den produktivsten Ausgaben des Staates und machen sich in der vermehrten Steuerkraft allem schon bald bezahlt. Man hat vielfach für die verschiedensten Gewerbe die Erbringung eines Befähigungsnachweises verlangt, am nötigsten wäre er vielleicht für die Landwirtschaft und müsste mit Recht erzwungen werden, wenn es eine leider nicht erreichbare Garantie dafür gebe, dass nun die erlangte Befähigung auch wirklich zur Anwendung gebracht würde. Wir sind in Deutschland stolz darauf, dass wir schon in sehr frühen Perioden unserer Geschichte das Privateigentum an Grund und Boden in immer reineren Formen ausgeprägt und durch den hiermit zur vollen Wirksamkeit gebrachten Privategoismus grosse wirtschaftliche Erfolge gezeitigt haben; dies wird aber bei den immer komplizierter werdenden wirtschaftlichen Verhältnissen auf die Dauer nur haltbar sein, wenn jeder Grundbesitzer von den Gedanken durchdrungen ist, dass wie jeder Besitz so insbesondere der Besitz von Grund und Boden nicht nur Rechte gibt, sondern auch mit Pflichten gegen die Allgemeinheit verbunden ist. Wenn diese in der möglichst produktiven Ausnutzung des Bodens nicht erfüllt werden, so könnte eine Zeit eintreten, in der man den monopolartigen Charakter des privaten Grundbesitzes nicht mehr anerkennen und das auch

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 361. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/377&oldid=- (Version vom 16.10.2021)