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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Grossbetrieb begründet. Die derzeitigen Verhältnisse bei der Landwirtschaft sind allerdings zur Zeit auch durch die Landflucht beeinflusst; während 1871 noch 63,9% des ganzen deutschen Volkes in Gemeinden unter 2000 Einwohnern und nur 12,5% in grösseren Städten über 20 000 E. lebten, wohnten 1905 in den grösseren Städten 31,85 % in Gemeinden unter 2000 E. 42,58 %. Von den 17 681 176 landwirtschaftlichen Berufsangehörigen befanden sich auf dem platten Lande d. h. in Gemeinden bis zu 2000 Einwohnern 15 088 883, in solchen bis 100 000 Einwohnern: 2 452 219, in Gemeinden über 100 000 Einwohnern: 140 074.

Den Bedarf an menschlichen Arbeitskräften hat die Wanderausstellung der deutschen Landwirtschaftsgesellschaft 1910 in einer Statistik veranschaulicht, welche die drei Wirtschaftsjahre 1906/7, 1907/8 und 1908/9 sowie je 5 typische Betriebe jeder Betriebsart zugrunde legt und den Bedarf der Betriebsarten nach Männersommertagen zur Darstellung bringt; der Frauensommertag wurde dabei zu ⅔, der Kindersommertag zu ⅓, der Männer- und Knechte-Wintertag zu ⅔ und der Frauen-Wintertag zu 4/9, der Kinderwintertag zu 2/9 des Männersommertags angesetzt. Bei den Rübenwirtschaften mit durchschnittlich 30,5% Hackfruchtbau ergeben sich danach 41,85 Männersommertage als nötig, bei den Brennereiwirtschaften mit durchschnittlich 29,6% Hackfruchtbau (Kartoffelbau) 32,29, bei Körnerwirtschaften mit durchschnittlich 60% Halmfruchtbau 34,78 und bei Viehwirtschaften mit durchschnittlich 27,5% feldmässigem Futterbau 22,90.

Dieser Bedarf ist auch verschieden nach der Betriebsgrösse. Nach der Betriebsstatistik in Preussen erfordert je ein Hektar an menschlicher Arbeitskraft:

in Betrieben von 2–5 ha 0,877
in Betrieben von 5–20 ha 0,434
in Betrieben von 20–100 ha 0,209
in Betrieben von 100 und mehr ha 0,175

Bei dem durch die Landflucht bedingten Abnehmen der landwirtschaftlichen Berufszugehörigen, das aus obigen Zahlen erhellt, musste nun dieser Bedarf an menschlichen Arbeitskräften in steigendem Masse, so weit irgend möglich, in anderer Weise gedeckt werden. Denn nicht nur die auf dem Lande ansässigen Arbeitskräfte wandern ab, sondern auch das Gesinde nimmt ab; nach Erhebungen in Ostpreussen im Jahre 1900/01 begann der Mangel an Arbeitskräften in Betrieben über 7 ha fühlbar zu werden. Bei Betrieben von 7–9 ha wurde der Mangel bereits auf 12,5% des Bedarfs angegeben, bei Betrieben von 10–13 ha: 16%, 14–20 ha: 23%, 21–28 ha: 29%. Von dieser Betriebsgrösse an nimmt der Arbeitermangel ab, beträgt bei den Betrieben von 100–150 ha nur mehr 16, bei solchen über 1000 ha nur noch 10% des Bedarfes. Das Gesinde ist von 1 718 885 im Jahre 1895 auf 1 332 717 im Jahre 1907 zurückgegangen, wobei am stärksten die Zahl der Knechte zurückging, im Jahre 1910 um 361 558, während die Zahl der Mägde nur um 25 610 gesunken ist. Dafür hat die Zahl der erwerbstätigen Angehörigen etwas zugenommen; selbstverständlich nimmt mit der Grösse des Betriebes die Zahl der erwerbstätigen Familienangehörigen ab.

Daneben mussten in steigendem Masse ausländische Wanderarbeiter zugezogen werden. Aus einer Statistik der D. L. G. lassen sich folgende Zahlen zusammenstellen:

Die Einwanderung von Arbeitern betrug aus: Russland Galizien Italien Niederlande Dänemark Übr. Österr.-Ungarn
u. andere Staaten
Summa
in die Landwirtschaft Zahl 215 491 107 456 46 7593 2947 13 059 346 592
% 90,4 67,6 0,1 16,3 39,9 11,9 57,6
in die Industrie Zahl 23 015 51 518 40 747 38 944 4445 96 628 255 197
% 9,6 32,4 99,9 83,7 60,1 88,1 42,4
Summe 238 506 158 974 40 793 46 537 7392 109 587 601 789
Davon entfallen auf die Landwirtschaft:
in Preussen 169 733 95 886 45 7419 2946 12 231 288 260
in Süddeutschland 2 184 1 045 30 3 259
im übrigen Deutschland 43 574 10 525 1 174 1 798 55 073
Summa 215 491 107 456 46 7593 2947 13 059 346 592
Industrie:
in Preussen 17 649 44 657 39 546 38 217 4373 94 269 238 711
in Süddeutschland 118 180 512 9 68 887
im übr. Deutschland 5 248 6 681 689 718 72 2 191 15 599
Summa 23 015 51 518 4 747 38 944 5444 96 528 255 197
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/383&oldid=- (Version vom 23.10.2021)