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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Ein Überblick über alles dargelegte legt folgende Erwägungen nahe:

Die deutsche Landwirtschaft stand in den letzten Jahrzehnten vor der schweren Aufgabe, einen steigenden Bedarf zu decken bei abnehmender Zahl der ihr verfügbaren Arbeitskräfte. Wenig erfreulich ist die Zunahme der Wanderarbeiter, die durchgehends einem niedrigeren Kulturniveau angeboren. Sie drücken die Lage der heimischen Arbeiter, denn die soziale Stellung, das Arbeitsverhältnis, die Lebenshaltung und Entlohnung sind beim Wanderarbeiter meistens niedriger.

Die Entwicklung der Betriebsgrösse lässt ein bedeutendes Zurückgehen des Grossgrundbesitzes und eine Ausbreitung des bäuerlichen, besonders des mittelbäuerlichen Betriebes erkennen. Die kleinsten Betriebe sind jedenfalls in dieser Zahl auch in anderen Ländern noch in grösserer Zahl zu finden. Die Ausdehnung dieser kleinsten Betriebe ist von dem Gesichtspunkte aus aufzufassen, dass die Besitzer derselben einerseits durch Nebenbeschäftigung sich durchaus wirtschaftlich existenzfähig machen können, andererseits als Arbeitskräfte zur Aushilfe in den anderen Betrieben sehr willkommen sind. Wo der Besitz von weniger als 2 ha Grund und Boden darstellt, der zur intensivsten Kultur, Wein und Gemüse dergl. verwendet werden kann und wird, ist auch bei diesen Betrieben eine gesunde wirtschaftliche Existenz durchaus möglich; je intensiver die Kultur, desto kleiner die Fläche, die dem Bebauer Selbständigkeit verleihen kann.

In steigendem Masse sind die Fortschritte der der Landwirtschaft als Hilfswissenschaften dienenden Naturwissenschaften von der deutschen Landwirtschaft verwendet worden; dies zeigt die wachsende Tendenz, an Stelle grosser Quantitäten gute Qualitäten zu produzieren, die starke Ausnutzung der natürlichen Vorbedingungen und die immer intensiver werdende Wirtschaftsweise mit steigender Angliederung von Nebengewerben. Die Steigerung des Ernteertrags, besonders die Entwicklung der Roggenausfuhr und die grossen Erfolge der Viehzucht und Viehwirtschaft liefern hierfür die Beweise.

Welchen Wert Grund und Boden für den einzelnen und für die Volkswirtschaft hat, ist nur schätzungsweise und nur für bestimmte Zeiten und Verhältnisse anzugeben; die Schwierigkeit in der Aufstellung der privatwirtschaftlichen Bewertung tritt besonders dem entgegen, der sich mit den grossen Schwierigkeiten landwirtschaftlicher Buchführung befasst; denn es handelt sich hier oft um Einstellung von Posten für Objekte, die keinen Markt haben, deren Bedeutung für die marktgängigen landwirtschaftlichen Produkte aber nicht zuverlässig angegeben werden kann. Die Bewertung ganzer Besitzungen, namentlich des Grund und Bodens hat ja eine bedeutende Stütze, wo Pachtsätze zum Vergleich herangezogen werden können. Allein die Ertragswertberechnung ist sehr schwankend nach dem Marktpreise der Waren, die der Landwirt verkauft und bedarf, nach der Art des verwendeten Betriebs-Systems, der Tüchtigkeit und Ausbildung des Landwirts, der Möglichkeit der Nebengewerbe usw. Der Verkaufswert aber wird dadurch verändert, dass beim Kauf von Grund und Boden viele nicht wirtschaftliche Momente eine Rolle spielen; Liebe zum Grundbesitz, besonders zu dem in einer speziellen Gegend, Streben nach Sesshaftmachung aus politischen Gründen, Verlangen nach den gesellschaftlichen Vorteilen, die mit Grundbesitz zusammenhängen, klimatische, landschaftliche Vorzüge einer Gegend usw. bringen schwer zu berechnende Elemente in die Preisbildung. Der Boden ist eben durchaus nicht schlechthin „Kapital“; er kann auch als Kapital behandelt werden, hat aber daneben und darüber hinaus, besonders dadurch, dass er Standort für den Staatsbetrieb, sowie Standort für irgendwelche kulturelle u. a. Milieukonstellationen ist, noch so viel Eigentümlichkeiten, dass er Eigenschaften besitzt, die nicht im Kapitalbegriff enthalten sind; verschiedene Vermehrbarkeit, Verwendbarkeit und Teilbarkeit, Verschiedenheit des Produktionsprozesses und der Produkte, Verschiedenheit der Rechtverhältnisse und sozialen Wirkungen, der Wert- und Preisbildung, Verschiedenheit der Stellung in der Rechtsordnung und auch in der Wirtschaftspolitik heben Grund und Boden aus der Reihe aller anderen Kapitalgüter in eine Sonderstellung, die lediglich aus der Eigenschaft, als Kapitalsumme ausgedrückt werden zu können, nicht zu begreifen ist. Oft denkt man sich auch das Wirtschaftindividuum ganz abstrakt dem „Kapital“ Grund und Boden gegenüber und vergisst dabei, wie sehr das Individuum selbst ein Produkt des Bodens und aller der Vorbedingungen ist, die aus Boden und Klima sich ergeben.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/398&oldid=- (Version vom 28.10.2021)