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In dem Kohlenhandel Deutschlands lassen sich auch gewisse Wirkungen der freien Konkurrenz studieren, da die Kohle zu den wenigen Massenartikeln gehört, welche immer die Wohltaten des Freihandels genossen haben und weder durch Zölle behindert noch durch Prämien künstlich begünstigt wurden. Der Ausfuhrzoll auf Kohle in England nach dem Burenkrieg war nur eine vorübergehende Erscheinung. Die freie Konkurrenz drückt die Produktionskosten herab, führt aber auch zu einer völligen Anarchie, weil mit der wachsenden Grösse des Marktes die Übersicht über das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage verloren geht. Je grösser das mit der Produktion verbundene Risiko ist, desto mehr wird das Bestreben dahin gehen, zwischen freie Konkurrenz und Monopol ein Mittelding einzuschieben, welches die wissenschaftliche Nationalökonomie nicht gekannt hat und auch heute noch nicht anerkennen will: die organisierte Konkurrenz. Wie im politischen, so ist auch im wirtschaftlichen Leben eine Freiheit nur mit Ordnung von Bestand. In allen Ländern steht daher das Kohlengeschäft unter dem Einflusse von Kartellen, in erster Linie von solchen der Kohlenwerke unter einander, dann aber auch von Vereinbarungen zwischen den Kohlenhändlern unter einander und mit den Kohlenwerken. Die vollkommenste Organisation in dieser Richtung weist Deutschland auf. Im Ruhrbezirk ist bis auf 2 bis 3% die gesamte Kohlenproduktion im Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikat in Essen vereinigt, einem straff organisierten Verkaufskartell, welchem alle Zechenbesitzer ihre Produktion an Kohlen, Koks und Briketts zu den auf Basis der sogenannten Richtpreise festgestellten Verrechnungspreisen abliefern müssen, so dass das Syndikat den Alleinverkauf besorgt. Zur Regelung des Absatzes längs der Rheinstrasse wurde das sogenannte Kohlenkontor (Rheinische Kohlenhandels- und Reedereigesellschaft G. m. b. H., Mühlheim-Ruhr) begründet. Die grossen Kohlenhändler, an welche das Syndikat liefert, sind wieder in mehreren Städten zu je einer Kohlenhandelsgesellschaft vereinigt. In Oberschlesien herrscht die Oberschlesische Kohlenkonvention in Kattowitz, welcher nicht bloss die Grubenbesitzer (15), sondern mit beratender Stimme auch die massgebenden zwei Firmen für den Kohlengrosshandel (Emanuel Friedländer & Co. und Caesar Wollheim) angehören. Im Waldenburger Revier Niederschlesiens fungiert das Niederschlesische Kohlensyndikat als Verkaufskartell. Im Saarbrückener Revier ist der preussische Fiskus preisbestimmend, welcher 11 Bergwerke besitzt. Im Revier von Aachen-Düren gehören fast alle Werke dem Eschweiler Bergwerksverein an. Schliesslich bestehen mehrere Syndikate für Braunkohlen und Briketts. Die Konkurrenz ist somit nirgends ausgeschlossen, aber nach allen Richtungen geregelt bis zum letzten Detailhändler.

Wichtige Anhaltspunkte zur Beurteilung der allgemeinen Entwicklung gibt die Maschinenindustrie. Sie richtet sich fast gar nicht nach natürlichen Vorbedingungen, vor ihrer Entstehung muss aber ein grosser Inlandsmarkt da sein, nämlich eine stark entwickelte Industrie. Sie bekommt auch die Gunst oder Ungunst der Konjunkturen doppelt zu fühlen, einmal als selbständiger Industriezweig, dann aber in der Rückwirkung von allen anderen Industriezweigen, denen sie die Produktionsmittel liefert. Nun weist in den letzten Jahren keine Gruppe des deutschen Gewerbes so enorme Fortschritte auf wie die der Maschinen, Instrumente und Apparate. Sie beschäftigte nach der Gewerbezählung vom 12. Juni 1907 1 120 282 Personen, rund doppelt soviel, als nach der Gewerbezählung vom 14. Juni 1895. Dabei hat sich infolge technischer Verbesserungen der Bedarf an menschlicher Arbeitskraft relativ, nämlich auf die Produkteinheit berechnet, sehr vermindert. Nach dem Bergbau ist die Maschinenindustrie unter den Grossbetrieben am stärksten vertreten, denn nach der letzten Gewerbezählung entfielen 788 830 Personen auf Betriebe mit 51 und mehr Personen, und hat auch den stärksten Bedarf an motorischer Kraft, da die Zahl der verwendeten Pferdekräfte in der Zeit von 1895 bis 1907 von 181.821 auf 1.370.727, also um mehr als das Siebenfache gestiegen ist. Dem Inlandsmarkt hat sich unterdessen ein bedeutender Auslandsmarkt an die Seite gestellt, denn im Jahre 1908, einem Rekordjahr, wurden Maschinen in einem Werte von 437,8 Mill. Mark exportiert, so dass sie bereits 6,8% der gesamten Ausfuhr des Deutschen Reiches ausmachten. Die Konkurrenzfähigkeit in Maschinen hängt wesentlich von der Möglichkeit einer Spezialisierung ab, diese aber ergibt sich erst mit wachsendem Absatz. Wie sehr sich die deutsche Maschinenindustrie verzweigt, lehrt ein Blick auf die Gewerbestatistik, die in keiner anderen Gruppe so viele Unterabteilungen

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 392. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/408&oldid=- (Version vom 29.10.2021)