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gezogen, weil er den Ausfall in einem Artikel nicht durch besseren Absatz in einem anderen ausgleichen konnte. Dann war eine Überproduktion eher zu befürchten und schwerer zu bekämpfen. Deshalb musste auch zu dieser Arbeitsteilung eine Arbeitsvereinigung gefunden werden, und zwar vollzog sich diese in der Konzentration und Kartellierung.

Wir bemerken vor allem eine örtliche Konzentration, indem sich die Industriebetriebe mit Vorliebe in gewissen Zentren gruppieren. Für die Wahl solcher Zentren sind verschiedene und mit der Zeit oft wechselnde Umstände massgebend. In früheren Zeiten entschied besonders oft das Vorkommen des Rohstoffes über die Wahl des Produktionsortes. So nahm die Zuckerindustrie von der Provinz Sachsen ihren Ausgangspunkt, wo die Kultur der Zuckerrüben gut gedieh. So hat die Eisenindustrie noch heute ihren Hauptsitz in Rheinland-Westfalen. Die Textilindustrie, die sich früher meist an die Schafzucht und den Flachsbau anlehnte, hat sich von dieser Gebundenheit an den Boden vollständig befreit und sucht Orte mit billigen Arbeitskräften. Die Billigkeit der Arbeitskräfte war ferner entscheidend für die Ansiedlung der Konfektionsindustrie in den grossen Städten, weil dort zahlreiche Frauen und Mädchen im Berufe der Männer, Väter und Brüder nicht mithelfen können und gern durch häusliche Industriearbeit zu den Kosten des gemeinsamen Haushaltes beitragen. Bei der Notwendigkeit der Zufuhr voluminöser Rohstoffe sucht die Industrie die billigsten Verkehrswege auf. So konzentriert sich die chemische Industrie am Untermain und Mittelrhein (Höchst, Frankfurt, Ludwigshafen), so wird die Verarbeitung der aus überseeischen Gebieten kommenden Rohstoffe, wie Tabak, Jute, Kakao, Häute usw. mit Vorliebe in der Nähe der grossen Hafenplätze Hamburg, Bremen usw. vorgenommen, damit eine starke Vorbelastung des Rohmaterials durch die teurere Eisenbahnfracht vermieden wird. Die Nähe des Absatzes wird gesucht von Industriezweigen, welche leicht verderbliche oder aus anderen Gründen schwer transportierbare Produkte herstellen. So schliessen sich an die grossen Städte Brauereien, Ziegeleien, Möbelfabriken an, so nähert sich die Maschinenindustrie jenen Industriegegenden, für welche sie arbeitet.

Viel wichtiger ist aber die organisatorische Konzentration durch eine mehr oder minder vollständige Verschmelzung selbständiger Betriebe zu einer einheitlichen Unternehmung. Auf diese Weise wird manche Kostenersparnis, namentlich in der allgemeinen Verwaltung und im Warenvertrieb, sowie, ein Riskenausgleich zwischen den spezialisierten Betrieben erzielt. Die Form dieser Konzentration kann sehr verschieden sein, sie kann sich steigern von einer rein persönlichen Fühlungnahme der Leiter verschiedener Unternehmungen zu einem gegenseitigen Austausch von Aktien, der den Einfluss sicherstellt, zu einem Vertrage, in welchem die Interessengemeinschaft festgestellt und geregelt wird, und schliesslich zu einem völligen Aufgehen in einer neuen, einheitlichen Unternehmung. Dabei kann es sich um gleichartige Betriebe handeln, welche dieselben Waren erzeugen. Dahin gehören die beiden Interessengemeinschaften, welche im Jahre 1904 in der chemischen Industrie zustande kamen, auf der einen Seite die Gruppe der Höchster Farbwerke und der Firma Leopold Cassella & Co. in Frankfurt a. M., der sich später noch die Firma Kelle & Co. in Biebrich a. Rh. anschloss, auf der anderen Seite die Gruppe der Badischen Anilin- und Sodafabrik zu Ludwigshafen und der Farbwerke vorm. Friedr. Bayer & Co. in Elberfeld, die sich durch den Beitritt der Gesellschaft für Anilin-Fabrikation in Treptow bei Berlin erweiterte. Im Kohlensyndikat haben oft grosse Zechen kleinere in sich aufgenommen, um auf diesem Wege eine Erhöhung ihrer Beteiligungsziffer an der Gesamtproduktion des Syndikates zu erreichen. Im Herbst 1904 schlossen drei Kohlenwerke, die Gelsenkirchner Bergwerks-Gesellschaft, der Aachener Hüttenaktienverein Rote Erde und der Schalker Gruben- und Hüttenverein eine Interessengemeinschaft, nachdem jede einige selbständige kleinere Zechen in sich aufgenommen hatte, so dass die Interessengemeinschaft an die Stelle von 19 ursprünglich selbständigen Unternehmungen trat. Die drei in der elektrotechnischen Industrie bestehenden Konzerne sind durch fortgesetzte Fusionen entstanden. Es können sich aber auch verschiedenartige, und zwar im Produktionsprozess auf einander folgende Betriebe zu einer sogenannten Kombination vereinigen, wie sie in den amerikanischen Trusts und in der Krupp’schen Unternehmung besonders deutlich vorliegt. Dahin gehören aber auch die zahlreichen gemischten Betriebe, so in der Baumwollindustrie die Vereinigungen von Spinnereien und Webereien, in der Montanindustrie die Hüttenzechen, nämlich Eisenhütten, welche sich Kohlenzechen angliedern, die gemischten Werke im Gegensatz zu den reinen Walzwerken usw.

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 400. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/416&oldid=- (Version vom 30.10.2021)