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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Roheisenhersteller, sich Konkurrenz machten und dadurch die Abnehmer jene Produkte zu den denkbar niedrigsten Preisen erhielten, bot die Selbstherstellung keine Vorteile für die Verbraucher, war vielmehr mit grossem Risiko verbunden, weil eine derartige kombinierte Unternehmung unter Umständen die Rohstoffe billiger kaufen konnte, als sie sie selbst herstellte, oder, wenn die Lage des weiterverarbeitenden Gewerbszweiges ungünstig war, keinen Absatz für die von ihr produzierten Rohstoffe hatte. Das änderte sich aber vollkommen, als an die Stelle freier Konkurrenz die Rohstoffkartelle traten und insbesondere das Kohlensyndikat die Preise dauernd hochhielt. Jetzt konnten alle Hütten- und Stahlwerke, die eigene Zechen besassen, ihren Kohlenbedarf billiger selbst gewinnen, ebenso die Stahlwerke ihren Roheisenbedarf billiger als von den betreffenden Syndikaten. So machte die Bewegung also Fortschritte und erwies sich auch in der Krisis nach 1900 noch als vorteilhaft, weil das Kohlensyndikat seine Preise hochhielt. Sie dehnte sich auch immer mehr auf die Weiterverarbeitung aus, wie z. B. grosse Drahtwerke, um den hohen Preisen des Halbzeugverbandes zu entgehen, dazu übergingen, es sich selbst herzustellen.

Den Nachteil davon hatten natürlich die kleineren sogenannten reinen Weiterverarbeiter, für die sich solche Kombinationen nicht lohnten, die ihre Rohstoffe und Halbfabrikate vielmehr zu hohen Preisen von den Kartellen kaufen mussten. Mit der wachsenden Ausdehnung der Kombinationsbewegung verschlechterte sich ihre Lage immer mehr, weil es schliesslich, insbesondere für Roheisen und Halbzeug, fast keine „reinen“ Produzenten mehr gab, die reinen Weiterverarbeiter alles Material von den grossen kombinierten Werken kaufen mussten, die in der Weiterverarbeitung ihre eigenen Konkurrenten waren. Diese hatten kein Interesse daran, die reinen Werke am Leben zu erhalten, sie benutzten sie höchstens als Puffer gegenüber den Konjunkturenschwankungen, aber waren nicht geneigt, Kartelle mit ihnen zu schliessen. Daher hat sich auch die Syndizierung der sogenannten B-Produkte im Stahlwerksverband, Stabeisen, Bandeisen, gezogenem Draht, Blechen nicht verwirklichen lassen. Ja, die grossen kombinierten Werke haben die Roheisensyndikate zur Auflösung gebracht, da sie kein Roheisen mehr verkaufen.

Der grösste Teil der reinen Walzwerke wird diesen Verhältnissen gegenüber kaum bestehen bleiben können. Ihre Zahl hat sich auch schon durch Angliederungen an die grossen Werke erheblich vermindert. Einige wenige vermögen sich durch die sogenannte Spezialisation, die Beschränkung auf die Herstellung weniger hoch qualifizierter Produkte zu erhalten.

Durch die Bildung grosser Kombinationsunternehmungen wird also die günstige Wirkung festorganisierter Rohstoffkartelle, dass alle Abnehmer auf die gleiche Basis gestellt werden und damit auch bei ihnen eine grössere Gleichmässigkeit in den Produktionskosten und stabilere Verhältnisse herbeigeführt werden, wieder aufgehoben. Aber noch mehr. Der Bestand der Rohstoffkartelle überhaupt wird durch sie gefährdet. Schon 1903 machte die Erneuerung des Kohlensyndikats grosse Schwierigkeiten, weil es nur unter Einräumung sehr grosser Beteiligungsziffern gelang, die den grossen Eisenwerken gehörigen Zechen, die namentlich in Zeiten ungünstiger Beschäftigung der Eisenindustrie grosse Kohlenmengen auf den Markt brachten, in das Syndikat einzubeziehen. Man musste ihnen den Selbstverbrauch von Kohle auf den derselben Unternehmung gehörigen Hütten freigeben, nur die überschiessenden Kohlenmengen müssen sie durch das Syndikat verkaufen. Das hatte die Wirkung, dass jetzt auch grosse Kohlenzechen anfingen, sich eigene Eisenwerke anzugliedern umgekehrt wie bisher, um ihre Kohle unabhängig vom Syndikat verwerten zu können. So erwarb die Gelsenkirchener Bergwerksgesellschaft, bis 1904 reine Kohlenproduzentin, zwei grosse Eisen- und Stahlwerke. Damit sorgte sie schon für das Jahr 1915 vor, wenn das jetzige Kohlensyndikat abläuft und möglicherweise nicht erneuert wird. Sie hat neuerdings wiederum nicht weniger als 100 Millionen Mark Kapital zur Anlage weiterer grosser Eisenwerke aufgewendet. Da auch andere grosse kombinierte Unternehmungen es so machten, um im Falle einer Auflösung der Syndikate „autark“ dazustehen, scheint eine Ueberkapitalisation in der Eisenindustrie sehr drohend und damit ist eine neue Schwierigkeit

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/423&oldid=- (Version vom 1.11.2021)