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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

61. Abschnitt.


Gesetzgebungspolitik gegenüber Kartellen und Trusts.
Von
Universitätsprofessor Dr. Robert Liefmann, Freiburg i. B.


Wir haben mit der Konzentrationsbewegung, deren verschiedene Formen für einige der wichtigsten Industrien in den vorhergehenden Abschnitten geschildert wurden, als einer Tatsache zu rechnen, die immer weiter um sich greifen und immer grössere Bedeutung gewinnen wird. Und zwar werden die verschiedenen Formen sich nebeneinander weiter entwickeln. Es kann nicht die Rede davon sein, dass die Kartelle etwa schon eine veraltete Organisationsform seien und immer mehr von den Trusts verdrängt werden. Vielmehr zeigt sich auch in Amerika, dass in den ganz grossen Industrien das Zusammenfassen aller Unternehmungen zu einer einzigen (Trust) ganz unmöglich ist, dass mehrere grosse Unternehmungen bestehen bleiben und dann die Konkurrenz unter einander durch Kartellvereinbarungen vermindern. Ebenso wenig darf man erwarten, dass die ganze Konzentrationsbewegung bis zum Extrem gehen werde, so dass schliesslich in den grossen Industrien nur eine einzige Unternehmung übrig bleiben werde. Viele der grossen Unternehmungen sind heute schon an der Grenze angekommen, wo die Übersehbarkeit des Ganzen, die Möglichkeit einheitlicher Leitung und Organisation aufhört. Aber Beteiligungen an anderen Unternehmungen, Interessengemeinschaften und Kartelle sind auch bei ihnen noch sehr erheblicher Ausdehnung fähig. Auch wird diese ganze Entwicklung zweifellos noch viele andere Industriezweige ergreifen. Aber es ist sicher, dass bei den meisten die Vorbedingungen für die Konzentrationsbewegung nicht so günstige sind wie bei den bisher von ihr ergriffenen Unternehmungszweigen, und es ist anzunehmen, dass in den meisten Erwerbszweigen in Deutschland mittlere Unternehmungen in Privatbesitz noch auf lange hinaus die überwiegende Mehrzahl bilden werden.

Es ist natürlich, dass diese Entwicklungsvorgänge nicht ohne wirtschaftliche Erschütterungen sich vollzogen, dass demgemäss von solchen, die dadurch beeinträchtigt wurden, Klage geführt und der Staat zur Hilfe gerufen wurde. In der Tat sind der Wirtschaftspolitik auf diesem Gebiete zahlreiche und schwierige Aufgaben gestellt, die bisher freilich erst zu einem kleinen Teile in Angriff genommen wurden, in der Hauptsache noch einer sicherlich nicht fernen Zukunft bevorstehen.

I. Bloss kontrollierende Massregeln.

Die erste und allgemeinste Aufgabe, die der Staat gegenüber den Kartellen und Trusts zu erfüllen hat, ist die einer Überwachung dieser Organisationen. Diese modernen Bildungen greifen so tief in das Wirtschaftsleben ein und können eine so grosse, selbst über das wirtschaftliche Gebiet hinausgehende Macht in sich vereinigen, dass der Staat sie nicht unbeaufsichtigt lassen kann. In den Vereinigten Staaten sind zu diesem Zwecke durch die Interstate Commerce Commission, die Industrial-Commission und andere Organisationen, auch durch zahlreiche Gerichtsverhandlungen die Wirkungen mehrerer wichtiger Trusts untersucht und daraufhin schon seit Anfang der 90er Jahre zahlreiche Antitrustgesetze erlassen worden.

In Deutschland wurden 1903-7 durch die Kontradiktorischen Verhandlungen über deutsche Kartelle die wichtigsten Organisationen der Montanindustrie, des Buchhandels, das Kartell für Zeitungsdruckpapier, das Tapetenkartell und das Spiritussyndikat untersucht.[1] Ausserdem legte die Reichsregierung dem Reichstage eine umfangreiche Denkschrift


  1. Veröffentlicht in 12 Heften im Verlage von F. Siemenroth, Berlin.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 413. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/429&oldid=- (Version vom 1.11.2021)