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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

zu verhindern, dass das Ausland Kali zu billigeren Preisen erhält als die deutsche Landwirtschaft. Aber die Furcht vor Repressalien bewirkte, dass dieses Mittel bisher noch nie praktisch angewendet wurde. Er ist auch insofern eine zweischneidige Massregel, als er das Abflussventil verstopft, das die grossen Industrien in der Förderung des Exports gegenüber Konjunkturenschwankungen haben. Diese werden also verstärkt werden.

Von viel grösserer praktischer Bedeutung als der Ausfuhrzoll ist im Interesse der Weiterverarbeiter, welche durch billige Auslandsreise und hohe Kartellpreise im Inlande geschädigt werden, eine weitere zollpolitische Massregel: der zollfreie Veredlungsverkehr. Er besteht darin, dass der Zoll bei der Einfuhr von Rohstoffen und Halbfabrikaten gestundet und endgiltig erlassen wird, wenn diese Stoffe in veredelter Form wieder ausgeführt werden. Der Weiterverarbeiter wird dadurch instand gesetzt, den Teil der Rohstoffe, den er für zu exportierende Waren braucht, zu Weltmarktpreisen zu beziehen, und er wird dadurch im Auslande konkurrenzfähiger. Natürlich nützt der zollfreie Veredelungsverkehr den Weiterverarbeitern um so weniger, je geringer in ihrer Industrie die Bedeutung des Exports im Verhältnis zum inländischen Markte ist. Erheblich weiterreichende Wirkungen hätte dagegen die Ausgestaltung des zollfreien Veredelungsverkehrs zum System der Einfuhrscheine. Sie wird besonders für Roheisen vom Verbande der Halbzeugverbraucher gefordert und ein dahingehender von der Zentrumsfraktion gestellter Antrag wurde im Februar 1909 vom Reichstage angenommen. Im Gegensatz zum zollfreien Veredelungsverkehr gehen die Einfuhrscheine von der Ausfuhr aus und gewähren z. B. die zollfreie Einfuhr einer gleichen Menge Roheisen, als in exportierten Eisen waren enthalten ist. Das ist aber eine sehr viel grössere Menge, als tatsächlich ausländisches Roheisen nach Deutschland eingeführt wird. Die erhaltenen Einfuhrscheine aber sind wie bares Geld, sie können für Zollzahlungen auf neue importierte Waren verwendet oder verkauft werden. Daher kann mit dieser Massregel viel eher ein Druck auf die Inlandspreise ausgeübt werden. Doch scheint sie mir eine Durchbrechung unseres Schutzzollsystems darzustellen. Dann wäre es einfacher und zweckmässiger, überhaupt die betr. Zölle herabzusetzen.

Neben Massregeln der Zollpolitik kommen auch solche der Tarifpolitik der Verkehrsanstalten in Betracht. Billige Frachttarife für den Export z. B. von Kohlen könnten aufgehoben, die Einfuhrtarife für ein kartelliertes Produkt herabgesetzt werden. In Deutschland sind derartige Massregeln wegen des ausgedehnten Staatsbahnsystems am ersten möglich, aber bisher noch nicht angewendet worden.

V. Verstaatlichung.

Ich glaube, dass mit derartigen wirtschaftspolitischen Massregeln es in fast allen Fällen möglich sein wird, den Gefahren der Monopolbildung die Spitze abzubrechen. Trotzdem ist, solange man die Kartelle kennt, noch von einem viel weitergehenden Mittel ihrer Bekämpfung die Rede gewesen, der Verstaatlichung des ganzen Industriezweiges. Der Gedanke daran ist durch den Sozialismus so verbreitet worden, dass selbst vielen bürgerlichen Nationalökonomen die Verstaatlichung der monopolisierten Industrien als das selbstverständliche Ziel der ganzen heutigen Entwicklung erscheint. Namentlich auf dem Gebiete des Bergbaues, für Kohlen und Kali, ist die Verstaatlichung der Unternehmungen sehr häufig empfohlen worden, weil hier bekanntlich besonders fest organisierte Kartelle bestehen. Unter dem Einfluss dieser Anschauungen hat der preussische Staat in der Tat seinen Besitz im Kohlen- und Kalibergbau ausgedehnt. Er hat im Ruhrgebiet, wo er vorher keine Zechen besass, grosse Kohlenfelder erworben und mehrere Zechen angelegt. Er suchte ferner durch Erwerbung der Aktien die Bergwerksgesellschaft Hibernia an sich zu bringen, was ihm jedoch infolge des Widerstandes der rheinischen Grossaktionäre und der beteiligten Banken nicht gelang. Der Staat hat aber seinen nahezu die Hälfte des Aktienkapitals umfassenden Aktienbesitz bisher festgehalten. Ein Vetorecht gegen Preiserhöhungen, das ihm vom Rheinisch-westfälischen Kohlensyndikat angeboten war, hat er früher abgelehnt in der richtigen Erkenntnis, dass damit die Preise des Syndikats als durch ihn legitimiert erschienen wären. Die Verstaatlichungen erfolgten hier entschieden

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/432&oldid=- (Version vom 1.11.2021)