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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

beweist die mit überwältigender Mehrheit erfolgte Annahme der Heeresvorlage 1913, in ihr nähern wir uns der Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht, die nationalliberale Partei hat sich in eifriger Vorarbeit in Presse, Vereinen und Versammlungen für die Verwirklichung dieser Scharnhorstischen Gedanken eingesetzt und den Boden für die Annahme der Vorlage bereitet.

Unerschüttert hält die Partei das liberale Banner hoch und bewahrt das Vermächtnis Rudolf v. Bennigsens. Die entschiedene Aufrechterhaltung des liberalen Charakters der nationalliberalen Partei ist Bedingung ihrer Fortexistenz und daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass zeitweilig durch starke Klassenbewegungen die Aussichten des Liberalismus sich verschlechtern.

Die Konsolidierung der deutschen inneren Verhältnisse in nationalem Sinne musste die nationalliberale Partei, die das nationale Moment immer in den Vordergrund gerückt hatte, mit Genugtuung erfüllen. Ihr nationales Programm wurde von anderen bürgerlichen Parteien, die früher einen negativen Standpunkt eingenommen hatten, aufgenommen, es wurde nahezu politisches Gemeingut. Seit dem Jahre 1893 ist ein Konflikt zwischen Reichstag und Regierung wegen Heeresverstärkungen nicht mehr eingetreten. Man hat sich über das Notwendigste verständigt, wenn auch die Regierung manche militärische Forderung, deren Erfüllung wünschenswert gewesen wäre, unter dem Druck des Zentrumseinflusses zurückstellen musste. Wie sehr der nationale Gedanke im Marsche war, erwies die Entwickelung der deutschen Flottenpolitik und die Tatsache, dass die Flottengesetze von allen bürgerlichen Parteien gegen die Sozialdemokratie beschlossen werden konnten. Mehr als je zuvor ist heute die Bedeutung dieses Machtmittels der auswärtigen Politik auch dem Kurzsichtigsten vor Augen gerückt und jedes Jahr der offenen und latenten Kämpfe der Weltmächte untereinander erweist die Richtigkeit unseres Programms: Pflichtbewusstsein und Opferwilligkeit, wo Macht und Ansehen des Reichs in Frage stehen. Mit dieser Entwickelung anderer Parteien, die einst in der Opposition standen, zur Erkenntnis der Bedeutung nationaler Forderungen entfällt für den Wahlkampf manches patriotische Moment, welches früher der nationalliberalen Partei wirksam zugute gekommen war; das Zentrum aber – einst unter Windthorst’s Führung eine Oppositionspartei – wandelte sich in der Überzeugung, auf diese Weise am besten seine politischen Geschäfte zu machen zu einer Regierungspartei und liess die patriotischen Töne auch im Wahlkampf mächtig anklingen.

Wir müssen eine Entwickelung, die dem Deutschtum und seiner Kraft nur nützen kann, um so freudiger begrüssen, als sie auch den alten Streitigkeiten, die den Liberalismus gerade auf diesem Gebiet zerfleischt hatten, ein Ende machte. Freilich, wie schnell oft von einem Tag zum anderen Wandlungen eintreten können, hat das Jahr 1906 mit seiner Reichstagsauflösung gezeigt; in dem Augenblick, in dem das Zentrum in Dernburg den Gegner erkannte und seinen Einfluss im Kolonialamt schwinden sah, bekam der oppositionelle Flügel Oberwasser und trieb zum Konflikt und dies in einer Zeit, in der unsere Truppen unter den schwierigsten Verhältnissen in Afrika im Felde standen.

So wird auch die nationalliberale Partei künftighin auf dem Posten sein müssen, zumal sich bei der Militärvorlage des Jahres 1911 eine starke Nachgiebigkeit der Regierung gegenüber dem Zentrum trotz seiner ungenügenden Reichsfinanzreform gezeigt hat und sie wird auch auf der Hut sein müssen, dass wir nicht durch eine schwächliche Politik in der Flottenfrage wiederum ins Hintertreffen kommen und das mühsam Erreichte gefährden.

Auch in der Ostmark will es uns dünken, als wenn die Bismarck-Bülow’sche Politik nicht mehr zielbewusst fortgeführt werden soll, dass man vielmehr geneigt ist, abzubröckeln, teils um dem Zentrum entgegenzukommen, dann aber auch wegen der Grossagrarier, die einer Ansiedelung selbständiger kleiner und mittlerer Bauern, die sich konservativem Einfluss entziehen, mit scheelen Augen zusehen. Nicht ungestraft verwandelt sich in all diesen Fragen die konservative Partei in eine Agrarpartei, die sich dem Zentrum verbündet und damit auch geneigt ist, den politischen Forderungen des Zentrums Rechnung zu tragen. Die nationalliberale Partei ist bei den wachsenden Schwierigkeiten mehr wie je zuvor überzeugt, dass eine feste Hand in der auswärtigen Politik, die leider nur zu oft seit Bismarcks Abgang vermisst werden musste, not tut in einer Zeit, in der die

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/44&oldid=- (Version vom 2.9.2021)