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Staats und der öffentlichen Verbände innerhalb desselben die Steuerpolitik, das ist in sachgemässer Ausübung eine folgerichtige Behandlung und Ausgestaltung der Steuer und der Steuerauflegung. Durch eine solche Steuerpolitik muss die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung zum Ausdruck gebracht werden, die sich danach als etwas sehr viel weiter gehendes und umfassenderes wie die unten zu berührende Gerechtigkeit unter den sogenannten obersten Steuerprinzipien darstellt. Unter Gerechtigkeit in der Steuerverteilung haben wir alles zu verstehen, was darauf hinzielt, die Steueranforderungen des Staats und der öffentlichen Verbände mit der Steuerkraft und den wirtschaftlichen und sonstigen Verhältnissen der steuerpflichtigen Bevölkerung sachgemäss in Einklang zu bringen.

2. Relativität der Gerechtigkeit in der Steuerverteilung.

Diese in der Gerechtigkeit der Steuerverteilung liegende Steuerpolitik ist aber ebenmässig nichts Abstraktes, für alle Zeiten gleichförmig Festliegendes, sondern sie ändert sich, wenn auch unter Umständen nur bis zu einem gewissen Grade, mit dem Entwicklungsgang der im Staat vereinten öffentlichen und privaten Wirtschaften, mit der Entfaltung der inneren politischen und sozialen Verhältnisse beziehungsweise der Volkswirtschaft überhaupt. Dem allen hat sie sich stets mehr oder weniger eng anzugliedern und muss danach für die einzelnen unterschiedlichen Zeiträume stets eine entsprechende Umgestaltung erfahren, wie ja auch Steuer und Besteuerung selbst in ähnlicher Weise einem inneren Wechsel unterliegen. Diesen Werdegang näher zu verfolgen oder im allgemeinen darzulegen, würde uns hier zu weit führen; der Hinweis darauf, dass er stattgefunden, muss genügen, womit gleichzeitig angedeutet ist, dass die Entwicklung fortläuft und weitere Verschiebungen in der Steuerpolitik zeitigen wird. Wir können unsere Betrachtung nur auf der derzeitigen allgemeinen Lage, auf den Verhältnissen des neuzeitigen entwickelten Staatswesens mit seiner staats- und volkswirtschaftlichen Grundlage, seiner Rechts- und Gesellschaftsordnung aufbauen, wobei allerdings in Einzelfragen ein Rückblick auf die Vergangenheit wie ein Ausblick in die Zukunft nicht ausgeschlossen sein dürfte.

3. Eigenart der Jetztzeit. Keine Einheitssteuer.

Als in einem besonderen Masse für die augenblicklichen einschlagenden Verhältnisse eigenartig ist von vornherein hervorzuheben einmal das ausserordentliche und keineswegs bereits zu einem Abschluss gekommene Anwachsen des Steuerbedarfs, wie es überall in den modernen Staaten mit der schwierigeren Sicherung ihres Bestandes durch Heer und Flotte, mit dem stetigen Fortschreiten, Erweitern und Vertiefen ihrer kulturellen Aufgaben Platz greift und notwendigerweise Platz greifen muss, und sodann ferner der stets in sich verzweigter und verwickelter gewordene Stand der Volkswirtschaft mit seinen weitgehenden Verschiedenheiten im Volkseinkommen und im Volksvermögen, der sich durch die fortschreitende Entwicklung auf allen einzelnen wirtschaftlichen Gebieten herausgebildet hat. Wie diese in ihrer Einwirkung scharf vortretenden Sonderverhältnisse der Jetztzeit einerseits die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung besonders bedeutungsvoll machen, gleichzeitig aber auch in ihrer Durchführung nicht unwesentlich erschweren, so dürften sie andererseits schon allein und für sich die Möglichkeit einer Einheitssteuer, in welcher man rein theoretisch vielleicht die Verwirklichung einer Gerechtigkeit in der Steuerverteilung am einfachsten und zweckmässigsten erachten könnte, von vornherein ausschliessen, ohne dass, wie es tatsächlich der Fall ist, noch eine Reihe anderer Ausschliessungsgründe, die sich aus unserer weiteren Erörterung ergeben werden, hinzuzukommen brauchte. Weiter zusammenhängend die Unmöglichkeit einer Einheitssteuer, welche dem Bedürfnis und einer gerechten Steuerverteilung Rechnung tragen würde, nachzuweisen, werden wir uns bei der Einhelligkeit, mit welcher die Theorie – an eine praktische Durchführung ist wohl nie gedacht – solche anerkennt, versagen.

4. Steuersystem.

Wir haben demnach als von Anfang an feststehend mit dem Vorhandensein einer Mehrheit von Steuern zu rechnen, einer Mehrheit, die unter der Einwirkung jener oben berührten Sonderverhältnisse

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 72. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/88&oldid=- (Version vom 6.9.2021)