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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

dass es unmöglich ist, im voraus oder überhaupt mit absoluter Sicherheit zu übersehen, ob und in welcher Weise sich in dem freien Verkehr, den man entsprechend zu regeln nicht in der Lage ist, die Steuerüberwälzung wirklich vollziehen wird. Theoretisch lässt sich sehr leicht der Satz aufstellen, die Steuerarten sind so zu wählen und zu bestimmen, dass im Endergebnis vermöge der Steuerüberwälzung stets der richtige Steuerträger, d. h. derjenige, dem man die Steuer wirklich auferlegen will, getroffen wird. Ob der Erfolg in der gewollten Richtung eintritt, muss immer fraglich bleiben, da man um mit Wahrscheinlichkeiten zu rechnen imstande ist. Regelmässig wird bei den indirekten Steuern die Überwälzung als gewollt, bei den direkten Steuern als nicht gewollt anzunehmen sein. Vollzieht sich die Steuerüberwälzung nicht in der von der Steuergesetzgebung vorausgesetzten und gewollten Weise, so wird dadurch die rationelle Steuerpolitik durchbrochen und vereitelt; hierin zeigt sich gerade die bedenkliche Seite der Steuerüberwälzung und ihrer Unbestimmbarkeit. In der Berücksichtigung der Steuerüberwälzung wird man nach alledem stets mit der grössten Vorsicht zu verfahren haben.

c) Prinzipien der Gerechtigkeit.

Als Prinzipien der Gerechtigkeit werden angeführt die Allgemeinheit der Besteuerung und die Gleichmässigkeit derselben. Dazu ist aber vorweg hervorzuheben, dass nach dem derzeitigen allgemeinen Entwicklungsstande, auf welchem sich die Besteuerung als solche aufzubauen hat, beide Prinzipien nicht nach ihrem strengen Wortlaute sondern nur mit gewissen Einschränkungen als zutreffend anzuerkennen sind.

Der Grundsatz der Allgemeinheit fusst zunächst darauf, dass die passive Besteuerung eine allgemeine staatsbürgerliche Pflicht ist. Dementsprechend würden für diese Besteuerung ausschliesslich die Staatsbürger in Betracht kommen. Eine derartige Einschränkung der Besteuerung müsste jedoch unter den jetzigen verwickelteren und verzweigteren allgemeinen rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Gerechtigkeit, die hier nur als relative in Betracht kommen kann, geradezu widersprechen. Die Allgemeinheit der Besteuerung ist demgemäss für die Jetztzeit begrifflich weiter zu fassen. Bezüglich der physischen Personen ist sie über den Kreis der Staatsbürger hinaus auf die Ausländer (Nichtstaatsangehörige) auszudehnen, welche sich im Inlande dauernd oder vorübergehend aufhalten. Die Allgemeinheit erstreckt sich sodann aber ferner auf die juristischen Personen im weitesten Sinne und zwar sowohl auf die des öffentlichen Rechts (Staat, Provinz, Kreis, Gemeinde pp.) wie auf die des Privatrechts Erwerbs- und Handelsgesellschaften, Aktiengesellschaften, Aktienkommanditgesellschaften, Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, Bergwerksgenossenschaften, Vereine etc.), unter Umständen auch hier auf ausländische mit. Daneben kann endlich noch die Besteuerung des Einkommens der Personen schlechthin, der inländischen Ertragsquellen für gewisse Bezüge und des Vermögens in Betracht kommen. Der Grundsatz der Allgemeinheit in der Besteuerung, wie er jetzt aufzufassen, lässt sich auf eine Einheitssteuer unbedingt nicht anwenden; es ist dieses ein weiterer ausschlaggebender Grund für die Unmöglichkeit einer solchen Steuer, die schon oben hervorgehoben wurde.

Ausserdem ist noch einer Durchbrechung des Prinzips der Allgemeinheit zu gedenken, welche jedoch gerade auf der Gerechtigkeit, die das Prinzip vertreten soll, beruht, der Steuerfreiheit des Existenzminimums bezw. der damit im Zusammenhang stehenden Befreiungen in einer unteren Steuerbegrenzung. Unter lediglich finanziellem Standpunkt würde eine derartige prinzipielle Befreiung nicht anzuerkennen sein, wohl aber muss sie vom sozialpolitischen, welcher in der neueren Zeit schärfer in den Vordergrund gebracht ist, gefordert werden. Durchzuführen ist die Befreiung nur bei einem Teil der Steuern, so namentlich bei der direkten Einkommens-, Ertrags- und Vermögensbesteuerung, desgleichen meist bei den Verkehrssteuern, während sie bei der indirekten Besteuerung, den Verbrauchs- und Gebrauchssteuern, durchweg ausgeschlossen erscheint, zum Teil jedoch durch die Steuerüberwälzung zum Ausgleich gebracht werden wird. Eine weitergehende Durchführung der fraglichen Befreiung wird namentlich da zu fordern sein, wo der steigende Finanzbedarf stärker auf die Verbrauchsbesteuerung von Lebensbedürfnissen zurückzugreifen zwingt.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/91&oldid=- (Version vom 6.9.2021)