Seite:Handbuch der Politik Band 2.pdf/92

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Das zweite Gerechtigkeitsprinzip, die Gleichmässigkeit in der Besteuerung, würde, rein nach der Wortbezeichnung aufgefasst, zur Hebung eines gleichen Steuerbetrages von allen Steuerpflichtigen und damit unbedingt zu einer grossen Ungerechtigkeit führen. Unter Gleichmässigkeit ist hier demnach Gleichmässigkeit im Verhältnis zu verstehen, so dass also die Verschiedenheit nach dem allgemeinen wirtschaftlichen Stand der einzelnen Steuerpflichtige entsprechend zur Berücksichtigung kommt. Während man früher als Grundlage für die Festlegung des Verhältnisses das Interesse und den Vorteil annahm, welcher dem Steuerpflichtigen aus seiner Zugehörigkeit zum Staat insgesamt oder in den einzelnen Beziehungen erwachsen musste (Genusstheorie, Assekuranztheorie), erkennt man jetzt als unter dem vorgeschritteneren Entwicklungsstand der Gerechtigkeit allein entsprechend durchweg nur das Verhältnis nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen an, wie solches allein der Natur des Staats und der gegenseitigen Beziehung zwischen Staat und Steuerpflichtigen entsprechen dürfte. Jeder Steuerpflichtige hat demnach gemäss seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit an der Steuerlast teilzunehmen. Wenn dieses nun auch sozusagen als oberster Grundsatz für die Gleichmässigkeit in der Besteuerung hinzustellen ist, so hat sich das Interessenprinzip doch bei einzelnen Steuerarten nach Massgabe deren besonderer Eigenschaftlichkeit bis jetzt erhalten und wird sich voraussichtlich in diesem beschränkteren Masse weiter erhalten; es ist dieses namentlich bei den Gebühren und bei einer Reihe von Verkehrssteuern der Fall.

Bei der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit kommen wiederum verschiedene besondere Momente in Betracht. Dass ein gewisses Mindestmass von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit überhaupt von der Besteuerung frei zu lassen ist (Steuerfreiheit des Existenzminimums), hatten wir schon bei dem vorigen Prinzip der Allgemeinheit berührt. Es schlägt hier ferner her die Proportionalität und die Progression der Steuer. Bei der proportionalen Besteuerung bestimmt sich der Steuerbetrag zwar nach der Höhe des Steuerobjekts, aber lediglich in der Weise, dass das Verhältnis zwischen Steuer und Steuerobjekt ohne Rücksicht auf die Höhe des letzteren sich stets gleich bleibt; der Steuersatz wechselt also nur gleichmässig mit der Höhe des Steuerobjekts. Die progressive Besteuerung lässt mit der Höhe des Steuerobjekts auch die Steuersätze der Höhe nach steigen, so dass mit dem höheren Steuerobjekt das Verhältnis zwischen Steuer und Objekt gleichfalls in einer entsprechenden Weise sich erhöht. Die progressive Besteuerung beruht auf dem Gesichtspunkt, dass die Leistungsfähigkeit einer Einzelwirtschaft bezw. eines einzelnen wirtschaftlichen Objektes für die Regel mit der Grösse nicht nur proportional sondern progressiv ansteigt. Die proportionale Besteuerung entspricht im wesentlichen dem Genuss- und Assekuranzprinzip; sie hat sich jedoch auch unter dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit noch bei gewissen Steuerarten erhalten, so bei den Gebühren und vielfach bei den Verkehrssteuern, namentlich bei denen, welche in der Form des Stempels erhoben werden. Die progressive Besteuerung bringt recht eigentlich das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zum Durchbruch; durch sie wird am entschiedensten nach den neueren Grundsätzen den wirtschaftlichen und sozialpolitischen Gesichtspunkten Rechnung getragen. In der ausgesprochensten Weise durchgebildet erscheint die progressive Besteuerung gerade bei den jüngsthin hauptsächlich bedeutungsvoll gewordenen Steuerarten, bei den Einkommens- und Vermögenssteuern; sie bricht sich aber auch bei anderen Steuern in neuester Zeit mehr Bahn, so bei der Erbschaftssteuer und in besonderen Beziehungen bei einzelnen Stempelsteuern.

Ein weiter hier einschlagendes sozialpolitisches Moment beruht auf der Erwägung, dass die Leistungsfähigkeit des Einkommens durch die Quelle, aus der es fliesst, in einer unterschiedlichen Weise bedingt wird, dass die Leistungsfähigkeit eine um so grössere sein muss, je sicherer diese Quelle fliesst. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint das fundierte Einkommen, das Einkommen aus einem Besitz oder aus Rente das leistungsfähigste; ihm gegenüber steht sodann das unfundierte Einkommen, dasjenige aus reiner Arbeit; zwischen beide stellt sich das gemischte Einkommen, welches teils auf Besitz teils auf Arbeit beruht und in der Hauptsache das gewerbliche Einkommen umfasst. Eine Gleichmässigkeit in der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ist in vollem Masse daher nur vorhanden, wenn die so nach der Quelle

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/92&oldid=- (Version vom 6.9.2021)