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Architektenverein etc.), doch hat sich die Tätigkeit dieser Vereine vorwiegend auf das wissenschaftlich-technische Gebiet erstreckt. Eine Hebung der sozialen Stellung und eine Förderung der materiellen Interessen der Architekten und Ingenieure ist von einzelnen Vereinen durch Ausarbeitung von Normaltarifen für Honorarforderungen und Aufstellung von Entwürfen zu Verträgen zwischen Bauherren, Architekten und Unternehmern, sowie durch Verhandlungen über Regelung der Haftpflicht versucht worden. Andere Organisationen bekämpfen das Techniker- und Handwerkerwesen, dem sie Halbbildung und Überschreitung der natürlichen Grenzen zum Vorwurf machen. Ein Gegensatz besteht auch zu den staatlichen, städtischen und kirchlichen Baubeamten, weil diese die Entwürfe für die in ihrer Verwaltung auszuführenden Bauten selbst herstellen, anstatt sie Architekten zu übertragen. An die gesetzgebenden Faktoren sind Eingaben gerichtet worden, in welchen eine Gleichstellung der technischen Hochschulen mit den Universitäten gefordert und eine Regelung der Titelfrage angeregt wird. Daneben sind die Probleme der Beschäftigungslosigkeit und die Ordnung des öffentlichen Submissionswesens zum Gegenstände der Erörterungen gemacht worden.

Die moderne wirtschaftliche Entwicklung hat bekanntlich den Anstoss zur Bildung von Kartellen, Syndikaten, Konventionen, Unternehmerverbänden und amtlichen Interessenvertretungen, wie Handels-, Gewerbe-, Handwerks- und Landwirtschaftskammern, gegeben. Die Führung der Geschäfte dieser Organisationen liegt zum grossen Teil in der Hand wissenschaftlich vorgebildeter, praktischer Volkswirte, die zu den freien Berufen gezählt werden müssen, da sie dem Charakter ihrer Stellung nach weder unter die Klasse Privatbeamten noch unter die der öffentlichen Beamten fallen. Die wirtschaftliche Lage der grossen Mehrzahl der praktischen Volkswirte entspricht vielfach keineswegs ihrem Bildungsgrade und ihrer sozialen Stellung. Die Besoldung auf den leitenden Posten, welche naturgemäss nicht dicht gesät sind, schwankt bei den öffentlichen Korporationen zwischen 3000 und 7500 Mark. An wenigen grossstädtischen Handelskammern sowie bei einzelnen bedeutenden Kartellen und Interessenorganisationen erreichen die Geschäftsführer Gehälter von 8000, 10 000, ja mitunter 12 000 Mark und mehr. Dieser Oberschicht steht die grosse Masse der volkswirtschaftlichen Sekretäre, Assistenten, wissenschaftlicher Hilfsarbeiter etc. gegenüber, die nach längerer unbesoldeter Volontärzeit Gehälter beziehen, welche je nach dem Dienstalter zwischen 1200 und 3600 Mark schwanken. Da vor einigen Jahren die Aussichten zu schneller Erlangung einer besoldeten Stellung in diesem Berufe günstiger erschienen, als in irgend einer höheren Staatsbeamtenkarriere und überdies keine schwierigen Staatsexamina den Eintritt hemmten, hat sich in den letzten Jahren ein steigender, den Bedarf überschreitender Zudrang zu den fraglichen Stellungen bemerkbar gemacht. Eine Besserung hierin kann vielleicht erzielt werden durch Aufklärung über die wenig günstigen Berufschancen, durch Vorschriften über einen bestimmten Bildungsgang sowie durch Einführung einer dem Assessorexamen entsprechenden Prüfung über die praktische Ausbildung. Die standespolitischen Bestrebungen des „Deutschen volkswirtschaftlichen Verbandes“, der einzigen bedeutenderen Berufsorganisation, haben bisher wenig positive Erfolge hinsichtlich der Hebung der wirtschaftlichen und sozialen Lage der Volkswirte gezeitigt. Durch Publikation von Vakanzenlisten, die jedoch nur einen verhältnismässig kleinen Prozentsatz direkt der Geschäftsstelle angemeldeter Vakanzen enthalten, betreibt der Verband eine primitive Stellenvermittelung. –

Die Bedeutung, welche die liberalen Berufe für unsere moderne Gesellschafts- und Wirtschaftsentwicklung erlangt haben, wird treffend durch die diesbezüglichen Ausführungen Gustav von Schmollers (Grundriss der Volkswirtschaftslehre Bd. I, S. 379) charakterisiert, welcher darauf hinweist, dass diese Klasse dem ganzen Mittelstande, der sonst überwiegend dem Geschäfte und dem Erwerbe lebt, eine edlere Denkungsart eingeimpft sowie eine gewisse geistige Schwungkraft verliehen hat, die den nakten egoistischen Klasseninteressen anderer Kreise ein ideales Gegengewicht entgegenstellen. Die liberalen Berufe haben vielleicht zeitweise mit abstrakten Theorien Staat und Gesellschaft zu sehr beeinflusst. Im ganzen aber sind sie die eigentlichen Träger des wissenschaftlichen Fortschritts, des Idealismus und der vornehmen Gesinnung gewesen. Heute mehr als früher übt der Stand unserer Gelehrten, Ärzte, Rechtsanwälte, Künstler, Journalisten, Volkswirte etc. durch seine Berufstätigkeit einen ausserordentlich grossen Einfluss auf die Weiterentwicklung von Gesellschaft und Volkswirtschaft aus.



Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/104&oldid=- (Version vom 14.11.2021)