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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

In Preussen wird auf Grund Kgl. Verordnung vom 25. 5. 87 alle drei Jahre für jede Provinz eine Ärztekammer gewählt, aus deren Mitte nach dem Gesetz vom 25. 11. 99 ein Ehrengericht gewählt wird, mit einem juristischen Mitgliede. Die Ärztekammern haben das Recht, von den wahlberechtigten Ärzten eine Umlage zu erheben, von wenigen bestimmten Ausnahmen abgesehen ist jeder Arzt wahlberechtigt. Den Ehrengerichten unterstehen nicht die Sanitätsoffiziere und die einer staatlichen Disziplinarordnung unterliegenden beamteten Ärzte. Aus den Vorständen der einzelnen Ärztekammern wird der Ärztekammerausschuss für Preussen gebildet, als Berufungsinstanz gegen die Urteile der Ehrengerichte besteht der Ehrengerichtshof für Preussen, dessen Entscheidungen endgültig sind. Ein Wiederaufnahmeverfahren ist nicht möglich.

Ehrengerichtliche Strafen sind Warnung, Verweis, Geldstrafe bis 3000 M., zeitweise oder dauernde Aberkennung des aktiven und passiven Wahlrechts zur Ärztekammer. Die Approbation kann nirgends durch Ehrengerichtsspruch entzogen werden. Diese ist nur möglich gemäss §§ 53, 54 Gewerbeordnung.

In Sachsen sind alle Ärzte gezwungen, dem zuständigen ärztlichen Bezirksverein anzugehören, die Bezirksvereine der Regierungsbezirke bilden die Kreisvereine, aus deren Abgeordneten die Ärztekammern gebildet werden. An diese Organisation sind auch die Ehrengerichte angelehnt, die nach einer vom Minister des Innern erlassenen Standesordnung urteilen müssen, (während in Preussen das Urteil auf Grund freier Meinungsbildung zu fällen ist.) Ehrengericht zweiter Instanz ist der Ehrengerichtshof in Dresden, gegen dessen Entscheidung Anfechtungsklage beim Oberverwaltungsgericht zulässig ist.

In Bayern gibt es Ärztekammern, die sich aus Delegierten der Bezirksvereine zusammensetzen. Der Beitritt zu den Bezirksvereinen ist freiwillig, Ehrengerichte gibt es nicht.

(Ausführliches über die Standesgesetze in den einzelnen Bundesstaaten bei Joachim – Korn: Deutsches Ärzterecht).

Freiwillige Vereinsorganisation. Abgesehen von den zahlreichen wissenschaftlichen Vereinen gibt es ein weitverzweigtes Netz von ärztlichen Vereinen, die sich vornehmlich mit Standesangelegenheiten befassen. Die weitaus meisten von ihnen sind zu dem „Deutschen Ärztevereinsbund“ zusammengeschlossen, der von einem Geschäftsausschuss geleitet wird und von dem für gewöhnlich einmal im Jahre der „Deutsche Ärztetag“ einberufen wird, zu dem die einzelnen Vereine ihre Delegierten entsenden. (Auf dem Ärztetag im Sommer 1914 vertraten 383 Delegierte 314 Vereine mit 24 556 Mitgliedern.)

Neben und in engster Verbindung mit dem Ärztevereinsbund, und zwar als dessen wirtschaftliche Abteilung, besteht der „Verband der Ärzte Deutschlands zur Wahrung ihrer wirtschaftlichen Interessen,“ nach seinem Sitz kurz „Leipziger Verband“ genannt. Seine Mitgliederzahl betrug am 1. Mai 1913 25 184. Er verdankt seine Entstehung den aus dem wirtschaftlichen Übergewicht der Krankenkassen entstandenen Nöten und stellt eine ausgesprochen gewerkschaftliche Organisation dar. Er bietet den Ärzten eine Stütze bei Kämpfen mit Krankenkassen, vermittelt kostenfrei Stellen als Assistenzarzt, Schiffsarzt etc., Vertretungen für erkrankte oder verreiste Ärzte, vermittelt Niederlassungen (und dämmt damit den Handel mit ärztlicher Praxis ein), unterhält eine Darlehnskasse für vorübergehende Notlagen, eine Sterbekasse, einen Witwen- und Waisenunterstützungsfonds, eine Zentral-Vertragsprüfungstelle und Einrichtungen für die sozialmedizinische Fortbildung (Musterbeispiel das von der Ortsgruppe Berlin des Leipziger Verbandes unterhaltene „Seminar für soziale Medizin“).

Ausserdem gibt es in vielen Grossstädten, Kreisen oder wirtschaftlich zusammengehörenden Bezirken wirtschaftliche Vereine, mit dem ausschliesslichen Zweck des Abschlusses von Verträgen mit Krankenkassen und ähnlichen Organisationen und der Überwachung des ärztlichen Dienstes. Einzelne dieser Vereine bemühen sich weiter durch Abhaltung von Kursen oder Kollektivabonnement auf Zeitschriften um die sozial-medizinische Weiterbildung ihrer Mitglieder (Beispiel: Verein der freigewählten Kassenärzte zu Berlin – Medizinische Reform, Halbmonatsschrift für soziale Hygiene und praktische Medizin). Die Mehrzahl dieser

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/111&oldid=- (Version vom 16.12.2023)