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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

eine zeitgemässe Abänderung älterer Disziplinargesetze sowie des Wohnungszwangs. Da eine allgemeine Statistik der Beamtenvereine nicht besteht, so sind sichere Angaben nicht zu machen, es ist indes anzunehmen, dass von den mittleren und unteren Beamten mindestens die Hälfte solchen Vereinen angehört. Besonders zu nennen sind die Vereine auf dem Gebiet der grossen Verkehrsverwaltungen, Post und Eisenbahn[1]. Fast alle Berufsvereine suchen durch wirtschaftliche Einrichtungen (Versicherungskassen und reinen Unterstützungskassen, Warenbezug u. dgl.) die Berufsgenossen mehr an sich zu ziehen und zu fesseln. – Bei den Vereinsgründungen tritt erkennbar ein Streben nach Standesorganisation hervor, d. h. nach einer von der bestehenden staatlichen Organisation verschiedenen Vereinigung der Standesgenossen. Aufgabe richtiger Beamtenpolitik muss es sein, dieser Bewegung die rechte Bahn zu zeigen, welche begrenzt wird einmal durch das Staatsinteresse und sodann durch die berechtigten Interessen der Beamten selbst: bei richtiger Vereinigung beider ist gesunde Weiterentwicklung des Beamtenwesens zu hoffen.

§ 9. Gegenstand heftiger Erörterungen ist von jeher die Frage der politischen Betätigung der Beamten gewesen. Besondere Bestimmungen gibt es nur wegen des aktiven und passiven Wahlrechts zum Reichstag und den Einzellandtagen[2], nicht dagegen über die sonstige politische Betätigung in der Öffentlichkeit (Presse, Vereine etc.). Geht man davon aus, dass mangels einschränkender Bestimmungen der Beamte hierin an sich unbehindert ist, so ist andrerseits eine selbstverständliche Begrenzung dieser Tätigkeit durch die beamtliche Stellung und die aus derselben fliessenden besonderen Pflichten gegenüber der Staatsgewalt gegeben. Hieraus folgt, dass die politische Betätigung des B. niemals gegen den Staat als solchen, gegen die Staatsordnung und die Träger der Staatsgewalt sich richten darf. Feste Normen lassen sich hier freilich nicht aufstellen; wesentlich in Betracht kommen wird auch die äussere Form der politischen Betätigung, welche jedenfalls die durch die Würde des Amtes gezogenen Grenzen nicht überschreiten darf. Zugehörigkeit zu politischen Vereinen bezw. Parteien ist eine Art der Betätigung, steht daher an sich dem Beamten frei, selbstverständlich unter den angegebenen Voraussetzungen, daher also z. B. nicht gegenüber solchen Vereinen und Parteien, welche die herrschende Staatsordnung nicht anerkennen. Abgesehen von diesen durch die Natur des Beamtenberufs gegebenen unerlässlichen und nicht zu eng zu ziehenden Einschränkungen muss der Grundsatz gelten, dass der Beamte ausserhalb des Dienstes die gleichen Rechte zu beanspruchen hat, wie jeder andere Staatsbürger, sowohl in politischer wie in wirtschaftlicher Betätigung (vgl. Beschluss des Verbandstags deutscher Beamtenvereine, Dresden 1911).

Verletzungen dieser Pflichten kann disziplinarische Ahndung nach sich ziehen, Fernhaltung von solcher nicht zulässigen Betätigung (z. B. Austritt aus gewissen Vereinen) im Wege der Beamtendisziplin erzwungen werden.[3]

Heftige parlamentarische Kämpfe sind in dieser Beziehung besonders von den linksstehenden Parteien, namentlich der sozialdemokratischen, geführt worden, zeitweise aber auch seitens der Rechten (z. B. Mitte der 70er Jahre unter Bismarck, später die „Kanalrebellen“).

E. Schluss.

§ 10. Das im Vorstehenden Gesagte bezieht sich ausser den Staatsbeamten durchweg auch auf die Kommunalbeamten (mittelbare Staatsbeamte, s. oben § 2). Die Gemeindebeamten erstreben in den einzelnen Staaten eine grundsätzliche Regelung ihrer Rechtsstellung durch Staatsgesetz. Infolgedessen hat die Bayerische Regierung im Herbst 1913 den Entwurf zu einem umfassenden


  1. Dem 1890 frei gegründeten „Verband deutscher Beamtenvereine“ gehörten 1912 an 289 Vereine mit 264 413 beitragspflichtigen Mitgliedern; dem unter tatkräftiger Förderung der Verwaltung 1897 ins Leben getretenen Verbande der preussischen Eisenbahnvereine 1913: 820 Vereine mit 513 000 Mitgliedern. Beide Verbände verfolgen wirtschaftliche Zwecke, der erstere betätigt sich neuerdings aber auch in Fragen des Beamtenrechts, die allgemeiner Natur sind.
  2. Zu vergl. Meyer-Anschütz, Staatsrecht S. 444 und 316.
  3. Kommissionsbericht zum R. Vereinsgesetz. Reichstags-Drucks. I, S. 1907/08, Nr. 819, S. 12.
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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/123&oldid=- (Version vom 17.11.2021)