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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

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Die Rechtsverhältnisse wie die Organisation der heutigen Volksschule sind viel weniger das Ergebnis planmässiger Konstruktion als das einer jahrhundertlangen Entwicklung. Hatte ursprünglich die Kirche ein Interesse, ihre Gläubigen in den Lehren ihrer Religion zu unterrichten, so entstanden mit dem Aufblühen der Städte im 12. und 13. Jahrhundert sowohl in Deutschland als in den Niederlanden neben den alten Kloster- und Domschulen städtische Lateinschulen. Bald entwickelten sich dann auch in allen Städten sogenannte deutsche Schulen für Lesen, Schreiben und Rechnen; auf dem Lande dagegen stand es um den Elementarunterricht in der Muttersprache bis zur Reformation wenig günstig, wenn auch die Existenz von Dorfschulen nicht bezweifelt werden kann. Die Dorfschulen waren jedenfalls meist Pfarrschulen und suchten hauptsächlich Kleriker und Sänger für den Kirchendienst auszubilden. Von einem allgemeinen Volksunterricht konnte aber selbst in der zweiten Hälfte des Mittelalters weder in den deutschen Städten noch auf dem Lande gesprochen werden. Erst mit dem Beginn des 18. Jahrhunderts erkennen die deutschen Fürsten den Volksschulunterricht als eine der Verwaltungsaufgaben ihrer Staaten an. Die Unterweisung des gesamten Volkes wird nun eine neue Aufgabe des Staates, indem eine Anzahl von deutschen Staaten, wie Hessen-Darmstadt, Sachsen-Gotha, Preussen unter Friedrich Wilhelm I. und insbesondere unter Friedrich II., drei von einander untrennbare neue wesentliche Grundsätze für die Schulpolitik aufstellen: den Schulzwang, die Gleichberechtigung der Kirchen in den Schulen, die Übertragung der Schullast auf die weltlichen Gemeinden.

Der Schulzwang vollzog sich begreiflicherweise unter wachsendem Widerspruch der kirchlichen Gewalten. Selbstverständlich war, dass ein Staat, welcher Schulzwang, Parität und Gemeindeschullast einführte, auch die Verpflichtung und das Recht übernommen hatte, sowohl die Schulaufsicht selbst zu üben, als auch insbesondere für die Ausbildung von Lehrern aus dem Laienstande zu sorgen, die befähigt waren, wenigstens in allen weltlichen Unterrichtsgegenständen einen Unterricht zu erteilen, an dem die Kinder verschiedener Konfessionen teilnehmen konnten. Der immer grössere Widerspruch der Kirche kann daher nicht befremden. Auf römisch-katholischer Seite ging man zuletzt so weit, das Recht der Hausväter gegen die Schulzwangtyrannei des Staates ins Feld zu führen; in der belgischen wie französischen Verfassung wurde im Jahre 1831 sogar ein grundsätzliches Verbot des Schulzwanges ausgesprochen.

Ebenso fand die Parität der verschiedenen Kirchen den heftigsten Widerstand. Denn wo vorher auf dem Lande Schulen gewesen waren, war nicht bloss das Schuleinkommen meistens ein Teil des Küstereinkommens, die Küsterwohnung meistens zugleich Schulhaus, sondern auch die Kirche hatte im wesentlichen die Herrschaft über diese Schulen und duldete in ihren Schulen keinen Andersgläubigen. Der Staat aber war nach und nach paritätisch geworden, und immer mehr wurde in den Verfassungen die allen Bürgern gewährte Freiheit der Religionsausübung zum Staatsgrundgesetz gemacht. In der vom Staate eingerichteten Schule konnten nicht die verschiedenen Konfessionen regieren; die Regierung der Schule musste in die Hand eines Einzigen übergehen, und dieser Einzige konnte naturgemäss nur der Staat sein. Allerdings konnte zu der Zeit, da die Volksschule entstanden, der Staat auch nicht daran denken, die Kirchen aus seinen neuen Zwangsschulen zu verdrängen; nicht nur das alte Recht bestand, das die Kirche für sich in bezug auf den Unterricht in den Lehren des Christentums beansprucht, sondern auch der Staat der Aufkläruugszeit hatte, so gerne er auch heute als ein atheistischer Staat dargestellt wird, das grösste Interesse an der religiösen Erziehung der Massen. So musste er dem Religionsunterricht der Kirchen den Besitzstand

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/136&oldid=- (Version vom 20.11.2021)