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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Ausserdem schliesst Württemberg beim Postfach die Oberrealschule aus, beim Staatsbau- und Maschinenfach fordert es von den Gymnasialabiturienten den Nachweis englischer Sprachkenntnisse, während Mecklenburg-Schwerin von diesem Fach die Oberrealschüler ausschliesst. Für das Forstfach haben in Württemberg und Mecklenburg-Schwerin die Oberrealschulabiturienten keinen Zutritt.

Im ganzen und grossen ist also die Kette der Gleichberechtigung aller drei Schularten geschlossen. Wenn die Erfahrungen, die unter Preussens Führung in allen den Staaten gemacht werden, welche die weitherzigsten Bestimmungen getroffen haben, günstige sind, so werden sicherlich weitere Fortschritte auf diesem Gebiete gemacht und jedenfalls solche seltsamen Widersprüche verschwinden, wie zwischen Württemberg und Mecklenburg-Schwerin im Staatsbau- und Maschinenfach.

4. Ausblick in die weitere Entwicklung des höheren Schulwesens. Die Zunahme der Realanstalten im letzten Jahrzehnt weist darauf hin, wie in Zukunft die Entwicklung unseres Schulwesens verlaufen wird. Einige vergleichende Zahlen mögen das erweisen. Vor dem Beginne der Schulreform in Preussen vom Jahre 1900 waren im Winter 1899/1900 341 gymnasiale Anstalten vorhanden, im Winter 1908/1909, also neun Jahre später, 371; das macht eine Zunahme von 9 vom Hundert; realgymnasiale Anstalten gab es Winter 1899/1900: 100; 1908/1909 183, also eine Vermehrung von 83 vom Hundert; lateinlose Realschulen und Oberrealschulen 1899 bis 1900: 167, 1908/1909: 254, also Zunahme von 52 vom Hundert. Trotz der erfreulichen Zunahme der Realanstalten ist noch ein Missstand vorhanden, dem die Zukunft abhelfen muss. Es ist nämlich trotz der Anerkennung der Gleichwertigkeit der drei höheren Schularten, trotz der grösstenteils durchgeführten Gleichberechtigung derselben das Gymnasium gleichwohl noch eine Art von Zwangsanstalt für weite Kreise geblieben. Es gibt in Preussen augenblicklich 593 Vollanstalten (341 Gymnasien, 159 Realgymnasien und 93 Oberrealschulen); diese verteilen sich auf 352 Städte. Von diesen haben 187 nur gymnasiale Vollanstalten. Also allen Eltern, die an einem solchen Orte wohnen und ihre Kinder bis zum Abiturientenexamen gehen lassen wollen, sind gezwungen, sie das Gymnasium durchmachen zu lassen; auch wenn ein Schüler Technik oder Naturwissenschaften studieren will, so muss er durch das Gymnasium gehen. Unter diesen 187 Anstalten sind wiederum 107, die nicht einmal Ersatzunterricht für das Griechische durch das Englische von Untertertia bis Untersekunda haben; es muss also jeder, der das Einjährig-Freiwilligen-Zeugnis erlangen will, Lateinisch und Griechisch lernen. Ein weiterer Missstand, den dieses ungerechte Vorherrschen des Gymnasiums mit sich bringt, liegt darin, dass jeder Offizier und Beamte, der öfterer Versetzung unterworfen ist, gezwungen ist, auch in den Städten, wo er die Auswahl hat, das Gymnasium für seine Söhne zu wählen. Es ist deshalb die Forderung, die von den Freunden vollster Gleichberechtigung und Gerechtigkeit gestellt wird, nicht unberechtigt, dass an allen isolierten Gymnasien der sogenannte Ersatzunterricht, d. h. Englisch statt Griechisch in Untertertia bis Untersekunda in Gymnasien eingeführt werde und dass bei genügender Anzahl von Schülern, die nach Obersekunda übertreten wollen, dieser englische Ersatzunterricht in realgymnasialen Oberklassen bis zum Abiturientenexamen fortgesetzt wird. Andrerseits müsste zum Ausgleich an den wenigen isolierten Realgymnasien in den obersten Klassen für diejenigen Schüler gesorgt werden, welche für ihr späteres Studium griechische Kenntnisse nachzuweisen haben. – Ein anderer Missstand in unserem höheren Schulwesen liegt darin, dass im Unterbau noch eine zu grosse Vielgestaltigkeit herrscht, die beim Übergange von einer Stadt in die andere und von einer Schulart zur anderen recht erhebliche Schwierigkeiten und Verlegenheiten für Eltern und Schüler bereitet. Diese Vielgestaltigkeit würde ein Ende nehmen können, wenn das sogenannte Frankfurter System an Umfang gewönne und, wo möglich, zum einheitlichen Unterbau aller Schulen sich ausgestaltete. Auch deshalb erscheint diese Entwicklung wünschenswert, weil die Schulen nach dem Frankfurter System in engerer organischer Verbindung mit der Volksschule stehen als Gymnasium und Realgymnasium alten Systems; denn im Deutschen, Rechnen und auch in Erdkunde verfügen sie über mehr Stunden als jene Anstalten mit ihrem stark überwiegendem Latein auf der Unterstufe. Je mehr solche Schulen entstehen, um so mehr sind die kleineren Städte, die sich überhaupt keine höhere Schule leisten können, in der glücklichen Lage im Hinblick auf nahegelegene Reformschulen durch gehobene Volksschulklassen oder durch Mittelschulen sich zu helfen, und die Eltern sind nicht gezwungen, schon im zehnten

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/146&oldid=- (Version vom 20.11.2021)