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schal geworden, und die Universitäten als ihre Organe bedurften wie sie selbst einer gründlichen Reform.

Diese kam durch den Humanismus. Zwar wurde nirgends eine rein humanistische Universität gegründet, auch in Wien vermochte sich das Collegium poetarum et mathematicorum der Universität gegenüber als selbständige Anstalt nicht zu behaupten. Aber nicht nur die zahlreichen neu entstandenen, sondern auch die alten Universitäten nahmen neben der scholastischen Wissenschaft den humanistischen Geist in sich auf und fügten des zum Zeichen den vorhandenen philosophischen und theologischen neue humanistisch-philologische Lehrstühle hinzu. Diese Neuerung wurde bestätigt und verstärkt durch die Reformation, welche die Kenntnis der drei Sprachen (Latein, Griechisch und Hebräisch) für die Theologen zur Bedingung machte. Aber auch der Katholizismus nahm an der humanistischen Bewegung teil und suchte sie durch den Jesuitenorden der alten Kirche dienstbar zu machen; so gerieten die meisten katholischen Universitäten nach und nach in die Hände der Jesuiten und wurden zu Ordensschulen mit den Privilegien von Hochschulen. Durch den kirchlichen Gegensatz wurden aber auch die protestantischen Universitäten streng konfessionell, auch die protestantische Theologie wurde scholastisch oder blieb es, und die libertas philosophandi fehlte, wie das Bedenken Spinozas gegen seine Berufung nach Heidelberg zeigt, auch ihnen und den freiesten unter ihnen durchaus.

Doch brachte der 30jährige Krieg langsam die Einsicht, dass die konfessionellen Streitigkeiten und Gegensätze ein Unglück seien für unser Volk, und von den Niederlanden, von England und Frankreich wehte ohnedies ein freierer Lufthauch herüber, der alsbald auch den deutschen Universitäten zugute kam. In Preussen, wo der Grundsatz „cuius regio eius religio“ zuerst durchbrochen wurde, dachte der Grosse Kurfürst daran, in einer brandenburgischen Stadt für Gelehrte aller Welt, die durch Glaubensverfolgung oder sonstige Tyrannei aus ihrem Vaterland verbannt waren, ein Asyl zu eröffnen, wo sie unbehelligt ihrer wissenschaftlichen Arbeit leben könnten. Verwirklicht aber wurde dieser utopische Gedanke in der anspruchsloseren Form der alten Universitäten durch seinen Nachfolger Friedrich III. an der 1694 neugegründeten Hochschule zu Halle. Allein auch hier lebte die alte intolerante Praxis rasch wieder auf, das zeigen die Intriguen der Pietisten gegen den Philosophen Chr. Wolff und dessen brutale Ausweisung aus Preussen durch Friedrich Wilhelm I. Und so hat doch erst Hannover durch die Gründung Göttingens im Jahre 1737 den Ruhm, eine auf dem Prinzip der freien Forschung aufgebaute Universität ins Leben gerufen zu haben; und gleich darauf folgte Erlangen, 1743 vom Markgrafen von Brandenburg-Bayreuth gegründet, diesem Beispiel nach. Der Rationalismus, der unter Friedrich dem Grossen Preussens Königsthron bestieg, besiegelte diese Errungenschaft weiterhin und sorgte überhaupt für Befreiung der weltlichen Wissenschaft von den theologischen und konfessionellen Fesseln auch in Deutschland.

Die zwei ersten ganz modernen Universitäten aber traten doch erst im 19. Jahrhundert, 1810 in Berlin und 1811 in Breslau, ins Leben. Ihnen prägte sich der Geist Schleiermachers und Wilhelm v. Humboldts, der Geist des Neuhumanismus und unserer an Kant sich anschliessenden idealistischen Philosophie von Anfang an aufs glücklichste und wirksamste auf und ein. Aber noch vorher war es doch der Geist der Aufklärung, „die berlinische Freiheit zu denken und zu schreiben“, die namentlich die erstere als gutes Erbteil mitbekommen hat. Der Grundsatz: „die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei“ wurde freilich erst in die Grundrechte des Frankfurter Parlaments aufgenommen, kodifizierte aber nur, was sich seit den Tagen der Aufklärung allmählich durchgesetzt hatte. Er war von nun an recht eigentlich die Magna Charta der deutschen Universitäten. Breslau aber war, im Gegensatz zu den bisherigen in allen Fakultäten einseitig konfessionell orientierten Universitäten, die erste nichtkonfessionelle simultane Anstalt mit zwei getrennten theologischen Fakultäten. Dass daneben auch in der philosophischen Fakultät aus Gründen praktischer Natur für das Fach der Philosophie eine Doppelbesetzung mit je einem Katholiken und einem Protestanten angeordnet wurde, war freilich ein böses Kuckucksei, das noch im 20. Jahrhundert im Fall Spahn und in dem Geheimvertrag mit der Kurie an der Strassburger Universität als Präzedenzfall übel nachgewirkt hat. Indem W. von Humboldt die allgemeine Freizügigkeit der deutschen Studenten durchsetzte, schuf er damit über die Grenzen Preussens

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/148&oldid=- (Version vom 21.11.2021)