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Lage und staatsrechtlichen Stellung der Fakultäten gerecht zu werden und den Kirchenfeinden jeden Anlass zu kirchenpolitischer Agitation zu nehmen“. Da aber alle künftig zu weihenden Priester den Eid zu leisten haben, so werden trotz dieses Dispenses über kurz oder lang sämtliche Mitglieder der katholisch-theologischen Fakultäten den Antimodernisteneid geschworen und sich verpflichtet haben, „alles und jedes für wahr anzunehmen, was von dem unfehlbaren Lehramt der Kirche definiert, behauptet und erklärt worden ist, insbesondere jene Lehrpunkte, die den Irrtümern unserer Zeit direkt entgegengesetzt sind.“ So hat sich durch diese unglückselige Eidesforderung ein Riss durch unsere Dozentenkollegien aufgetan oder ist durch sie erweitert und als ein vorhandener aller Welt vor Augen geführt worden, ein Riss, angesichts dessen die Weiterexistenz der katholisch-theologischen Fakultäten doch recht ernstlich in Frage gestellt ist. Und so war es nur konsequent, wenn Tübinger Professoren auf dem vierten deutschen Hochschullehrertag den Antrag stellten, dass mit dem Eid belastete katholische Gelehrte von den Lehrstühlen deutscher Hochschulen auszuschliessen seien, und wenn erklärt wurde, dass diejenigen Mitglieder akademischer Lehrkörper, die den Antimodernisteneid geleistet haben, an einer deutschen Universität nichts zu suchen haben, „weil sie damit verzichten auf unabhängige Erkenntnis der Wahrheit und Betätigung ihrer wissenschaftlichen Überzeugung und so einen Anspruch auf die Ehrenstellung eines unabhängigen Forschers verwirkt haben“. Aber auf der anderen Seite hat doch die Errichtung einer katholisch-theologischen Fakultät in Strassburg unter dem Widerstand des elsässischen Klerus gezeigt, dass die katholischen Fakultäten eine nationale Bedeutung haben und es im Interesse unserer nationalen Einheit und unserer einheitlichen deutschen Bildung und Kultur gelegen ist, dass die künftigen katholischen Priester in ihrer Studienzeit in Berührung und Fühlung bleiben mit ihren weltlichen Kommilitonen und ihnen Gelegenheit gegeben wird, über ihre konfessionell-kirchlichen Scheuklappen hinaus- und hineinzusehen in die Gebiete freier deutscher Forschung und freier deutscher Wissenschaft. Von den Hoffnungen, die sich an jene Gründung geknüpft haben, sind freilich bei weitem nicht alle in Erfüllung gegangen, nicht einmal die Vorlesungen gutgläubiger Historiker und Philosophen wurden von den Zöglingen des Strassburger Priesterseminars besucht; und auch von Freiburg hat der badische Unterrichtsminister noch 1912 konstatiert, dass „die Wechselbeziehungen zwischen Lehrern und Studierenden der katholisch-theologischen Fakultät einerseits und der anderen Fakultäten andererseits bedauerlicherweise nicht mehr so lebhafte seien wie früher“. Aber auch das Wenige, das hier erreicht wird, ist schon viel, und so können wir wohl begreifen, dass die Regierungen von einer radikalen Exstirpation dieses Fremdkörpers aus dem Leben unserer Universitäten wenigstens vorläufig noch nichts wissen wollen. Zwei Interessen stehen sich hier gegenüber, die einen Ausgleich noch nicht gefunden haben, vielleicht überhaupt nicht finden können.

Und um so weniger finden können, als auch auf anderen Gebieten eine solche reinliche Scheidung und Lösung nicht vorgenommen ist. In weitem Abstand zwar von den katholischen sind doch auch die Dozenten der protestantisch-theologischen Fakultäten nicht ganz „voraussetzungslos“ und frei. Das zeigen gelegentliche Konfliktsfälle, in denen eine Lösung dadurch herbeigeführt zu werden pflegt, dass dem liberalen ein orthodoxer Vertreter der Dogmatik oder des Neuen Testaments als sogenannter Strafprofessor zur Seite gestellt wird. Der eigentliche Konflikt liegt hier aber überhaupt erst jenseits der Universität, liegt darin, dass Geistliche für Anschauungen gemassregelt werden, die sie als Studenten von ihren Theologieprofessoren gehört und angenommen haben.

Endlich beweisen Vorgänge der letzten Jahrzehnte auf dem Gebiet der Nationalökonomie, dass die Wissenschaft auch mit dem Staat in Konflikt kommen kann. Auch da hilft man sich wie im Fall der protestantischen Theologen gelegentlich durch Ernennung von „Strafprofessoren“. Denn eine prinzipielle Lösung gibt es auch hier nicht: an Stelle des Prinzips entscheidet als ultima ratio die Macht, und diese ist auf Seiten des Staates, teilweise auch der Kirche, nicht auf Seiten der Wissenschaft. Im allgemeinen aber muss und kann sich der Staat und ebenso auch die protestantische Kirche damit begnügen, dem Forscher zweierlei ins Gewissen zu schieben: 1. dass er alles, was er zu sagen hat, so sagt, dass es sich pädagogisch rechtfertigen lässt; und 2. wenn er gegen den Staat, der ihn angestellt hat, oder gegen die Kirche, die ihm die Erziehung ihrer Diener anvertraut hat, grundstürzend

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/151&oldid=- (Version vom 21.11.2021)