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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Wort der Lösung für diese Streitfrage gefunden sei, vermag ich nicht anzuerkennen; nur das scheint mir daraus hervorzugehen, dass die Tage des Kolleggelds gezählt sind und die Einrichtung auch bei uns im Absterben begriffen ist, wie sie ja in Österreich wirklich schon beseitigt ist. Womit dann freilich der Professor noch mehr als bisher den Beamtencharakter annehmen wird. Und damit wird sich noch deutlicher und immer wieder als der eigentliche Kern wie in dem ganzen Problem des Verhältnisses von Universität und Staat so auch hier die Frage der Lehrfreiheit und ihrer Erhaltung herausstellen, an der schliesslich dem Staat doch ebensoviel gelegen sein sollte, wie der Wissenschaft und ihren Vertretern selbst. Denn wohin eine unfreie Wissenschaft führt und wie sie degradiert, korrumpiert und ruiniert, das zeigt ja der Antimodernisteneid schon heute als hinlänglich abschreckendes Beispiel. Und er zeigt auch, dass es mit dem einzigen Vorteil der Unfreiheit, mit der grösseren Bequemlichkeit für die Regierungen, nichts ist.

Neben dem Kolleggeld stehen als Klippe auch die Doktor- und Promotionsgebühren; das Wort „Doktorenfabrik“ wirft kein eben erfreuliches Licht auf solche wissenschaftliche Betriebsamkeit. Aber problematisch ist auch schon der Wert der Doktorarbeiten selber, wenn der Professor bei Stellung des Themas nicht an den Studenten, sondern an seine eigenen wissenschaftlichen Bedürfnisse denkt und ihm zu deren Befriedigung wissenschaftliche Kärrnerarbeit zumutet. Und auch an sich ist der Wert der meisten Dissertationen nicht allzu gross. Daher hat man neuerdings wieder vorgeschlagen, sie ungedruckt zu lassen und sich mit der Zusammenstellung kurzer Referate daraus und darüber zu begnügen. Wer aber die Zeiten erlebt hat, in denen das an vielen Universitäten üblich war, wird die Kontrolle durch den Druck und das so allein ermöglichte Urteil der Fachkollegen nicht entbehren wollen, selbst auf die Gefahr hin, dass wir dadurch in gedrucktem Papier versinken und ertrinken.

Der Vertreter des Staats bei den Universitäten ist der Kurator, während der Kanzler in Tübingen eher als Vertreter der Universität bei der Regierung anzusehen ist. Ob solche besondere Vertretung überhaupt notwendig ist, darüber kann man streiten; Baden wird auch ohne Kuratoren fertig, und Heidelberg und Freiburg blühen darum nicht weniger. Die Konferenz von Universitätslehrern im September 1849 hat die Frage verneint und Böckh zugestimmt, der ausdrücklich erklärte: „Die korporative Selbständigkeit der Universität kann mit einem Kurator nie bestehen.“ Heute hat man sich fast überall in Deutschland so sehr an diese Einrichtung gewöhnt, dass man die Gefahr kaum mehr achtet, mit der sie jene Selbständigkeit bedroht. Und dankbar hat man sich auch gewöhnt, über den ganz wenigen grossen und bedeutenden Kuratoren, deren Meister und Muster immer Goethe bleiben wird, das Gros der einfluss- und verständnislosen und die paar herrschsüchtigen und intriganten Kuratoren zu vergessen, von denen jene den Universitäten nichts nützen und diese ihnen schweren Schaden zufügen.

Aber nicht nur die Korporation und ihre Stellung im Staat, auch die Studentenschaft unserer Tage hat ihre Probleme. Auch ihre Geschichte; und es wäre nicht uninteressant zu sehen, wie das moderne Studententum aus grosser Dumpfheit und Wüstheit und Roheit allmählich herausgewachsen und zu dem geworden ist, wie es sich uns in seiner Eigenart heute darstellt. Es hängt mit der Umgestaltung des Charakters unserer Universitäten selbst, aber auch mit äusseren politischen und kulturellen Verhältnissen aller Art zusammen: auf den neuen Universitäten leben eben auch neue Studenten. Den grossen Umschwung führte aber doch erst die Teilnahme des deutschen Studenten an der grossen vaterländischen Tat der Befreiungskriege herbei. Dadurch kam Ernst, wie in die Zeit überhaupt, so auch in die deutsche akademische Jugend; und er blieb auch nach dem Krieg. Die Gründung der deutschen Burschenschaft mit ihrer Tendenz, die Einheit und Freiheit des Vaterlands vorzubereiten, ist die grosse Tat des deutschen Studententums und sein berechtigter Stolz für alle Zeiten. Dass durch den Übereifer und den Fanatismus einzelner Stürmer und Dränger Metternich und der Reaktion die Handhabe gegeben wurde, diese durchaus richtigen und edlen Bestrebungen zum Gegenstand heftiger Verfolgungen und niederträchtiger Quälereien zu machen, und dass dadurch so bald schon ein Reif auf jene schöne Maienblüte des deutschen Studentenlebens gefallen ist, ist ewig zu bedauern und gehört mit zu den mancherlei Tragödien unserer deutschen Geschichte. Der Burschenschaft wäre es aber auch ohne das schwerlich gelungen, die gesamte Studentenschaft in sich zu einer grossen Einheit zusammenzufassen; und vielleicht war das sogar

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/155&oldid=- (Version vom 21.11.2021)