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für die älteren Mitglieder. Dabei war teils das Vorbild der klinischen Institute bestimmend, bei denen das praktische Bedürfnis, brauchbare Ärzte heranzubilden, einen ähnlichen Wandel schon seit längerer Zeit hatte eintreten lassen; teils und hauptsächlich aber wirkte hier das unter dem Einfluss der wirtschaftlichen Entwicklung immer dringender werdende Begehren nach wissenschaftlich geschulten Leitern technischer und industrieller Unternehmungen vor allem auf die Entwicklung der chemischen und dann auch der physikalischen Laboratorien im gleichen Sinne zurück.

Dem gegenüber haben sich die Seminarien der Geisteswissenschaften, von denen diese ganze Bewegung ausgegangen war, lange Zeit nicht oder nur wenig über ihr primitives Anfangsstadium erhoben. Ihnen standen alle jene Motive nicht zur Seite, denen besonders die chemischen Laboratorien, aber dann nach ihrem Vorbilde auch die anderen naturwissenschaftlichen Institute ihre von der öffentlichen Meinung unterstützte Förderung von Seiten der Regierungen verdankten. Während ein einziges Laboratorium dieser Art gegenwärtig den dreifachen Aufwand erfordert, der vor kaum einem Jahrhundert für die Unterhaltung einer ganzen Universität genügte, sahen sich bis vor kurzem und sehen sich zum Teil noch heute die geisteswissenschaftlichen Seminarien auf die Unterkunft in einem Auditorium der Universität und auf eine minimale Summe für die Anlegung einer kleinen Bibliothek angewiesen. Da begann in neuerer Zeit von einer anderen Seite her ein Motiv wirksam zu werden, welches die Leiter solcher Seminarien zu weiteren Forderungen antrieb. Dieses Motiv bestand in der Verfertigung einer Dissertation, mit welcher der die Universität verlassende Kandidat als einem Zeugnis seiner eigenen wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit seine Studien abzuschliessen pflegt, um mit ihr den Doktorgrad zu erwerben. Indem sich auch in den Geisteswissenschaften das Seminar als die in manchen Fächern unentbehrliche Einrichtung für die Abfassung einer solchen Arbeit erwies, wandelte es sich so von selbst allmählich in ein Institut um, welches Übungs- und Forschungszwecken zugleich dient. Der Erfüllung dieses doppelten Zweckes stehen jedoch noch heute Hindernisse im Wege, die nur zum Teil, und auch das nur an einzelnen Universitäten hinweggeräumt sind. Erstens ist es selbstverständlich, dass ein Institut, das der wissenschaftlichen Arbeit dient, der Räume bedarf, in denen diese ungestört von den Hemmungen einer studentischen Privatwohnung und besonders im Anfang unter dem beratenden Einfluss akademischer Lehrer geleistet werden kann. Zweitens bedarf ein solches Institut notwendig einer grösseren Handbibliothek, die zu jeder Zeit unbeeinträchtigt von der Konkurrenz um die Benutzung der allgemeinen Universitätsbibliotheken zur Verfügung steht. An unseren grösseren Universitäten und zum Teil auch an den kleineren haben sich nun, diesem fortan wachsenden Bedürfnisse nachgebend, allmählich Seminarien entwickelt, die sich mehr und mehr über fast alle Gebiete der Geisteswissenschaften erstrecken. So schliessen sich an die Seminarien für klassische Philologie archäologische Institute, ferner germanistische, romanistische, anglizistische an. Dazu kommen, abgesehen von den der juristischen und theologischen Fakultät angehörenden, staatswissenschaftliche und nationalökonomische, historische Institute, die meist wieder in verschiedene Abteilungen zerfallen, endlich philosophische und an einigen grösseren Universitäten indogermanistische, semitologische, assyriologische, schliesslich zum Teil in das naturwissenschaftliche Gebiet hinüberreichend, psychologische Laboratorien. Hinter der Fülle der Anforderungen, die diese zahlreichen Institute stellen, bleiben aber die Mittel zu einer auch nur annähernden Befriedigung ihrer Bedürfnisse selbst an den meisten der grösseren Hochschulen immer noch weit zurück. Nun lässt sich freilich die Frage aufwerfen, ob eine der Pflege der praktischen Arbeiten im Gebiete der Naturwissenschaften auch nur annähernde Gleichstellung hier überhaupt zu erstreben sei. Gewiss würde ja die Wissenschaft keine sonderliche Schädigung erfahren, wenn sich die Anzahl der Dissertationen, die alljährlich unsere philosophischen Fakultäten produzieren, statt fortwährend zu wachsen, erheblich vermindern sollte. Aber dem ist doch entgegen zu halten, dass dieser Zudrang zur wissenschaftlichen Arbeit genau dem Zudrang zum akademischen Studium parallel geht, und dass sich dieser mit der allgemeinen Entwicklung des öffentlichen Lebens in engem Zusammenhänge stehenden Bewegung unmöglich Halt gebieten lässt. Vielmehr macht sich auch hier ein nationales Bedürfnis nach erweiterter und vertiefter Bildung geltend, dem sich die Universitäten, wenn sie nicht ihren Beruf verfehlen sollen, unmöglich entziehen können. Dazu kommt noch ein anderes Moment, das schliesslich als die treibende Macht, die hinter dieser Ausbreitung

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/160&oldid=- (Version vom 21.11.2021)