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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Hiernach ist theoretische und praktische Schulung grundsätzlich, zeitlich und organisatorisch unüberbrückbar geschieden. Die sog. praktischen Uebungen auf der Universität und etwaige lehrhafte Kurse im Gerichtsdienst bilden bisher die einzigen ausgleichenden und annährenden Mittel.

1. Der Universitätsunterricht leistet, was er nach diesem System mit den vorhandenen Personen und Lehrmitteln zu leisten vermag. Er bewegt sich vorwiegend in einseitigen Vorträgen, die die Studierenden „hören“; nur in den mit Arbeiten derselben verbundenen Kollegien exegetischer oder praktischer Natur haben sie Gelegenheit sich zu betätigen, während ein Gedankenaustausch auch wohl in sog. Konversatorien (Repetitorien) stattfindet. Das akademische Lehrziel ist das Erfassen des gesamten Rechtsstoffs in seinen Grundgedanken, inneren Zusammenhängen und seinem organischen Ausbau. Das kann nur erreicht werden durch systematisch dogmatische Darstellung, die das Einzelne zum Ganzen fügt und aus den Grundgedanken entwickelt. Man wird ohne Uebertreibung sagen können, dass die Vorträge, wie sie an den deutschen Universitäten gehalten werden, geeignet sind, in die Rechtswissenschaft einzuführen und die Kenntnis und Erkenntnis des Stoffs zu vermitteln. Wenn aber dieser Erfolg – nach vieler Klage – nicht erreicht wird, so sind die Gründe keineswegs nur persönlicher Natur: Ungeschick der Dozenten, Unfähigkeit oder Unfleiss der Studenten. Mag sein, dass die jungen Juristen sich vor anderen Kommilitonen durch schlechten Kollegienbesuch auf vielen Universitäten auszeichnen. Aber man soll nicht übertreiben. Würde man der natürlichen Folge des Unfleisses: der Unwissenheit das gebührende Zeugnis im Examen zuteil werden lassen, so würde man über dieses Uebel nicht zu klagen haben; denn diejenigen sog. Zuhörer, die sich lediglich als Amateurs auf der Universität aufhalten, scheiden ohnedies aus. Keinesfalls darf man – wie unten noch näher beleuchtet wird – das unschätzbare Gut der akademischen Freiheit einem schulmässigen Betrieb um des Unfleisses willen opfern. Nein: der Unfleiss, über den man klagt, wurzelt in der Sache und hindert daher auch das „Bestanden“ nicht, wenn sein Ergebnis: die Unbildung verdeckt wird durch eingepauckten Gedächtniskram. Die theoretischen, systematisch-dogmatischen Vorträge versagen den gewünschten Erfolg vor allem aus doppeltem Grund: sie halten oft die durch den Bildungszweck gebotene Grenze nicht ein, – und sie ermangeln in ihrer Einseitigkeit der pädagogischen Kraft.

Die Universität ist Forschungs- und Lehranstalt. Dieser Verbindung und Verwendung der besten wissenschaftlichen Kräfte für den Rechtsunterricht verdanken wir das hohe, geistige Niveau unseres Juristenstandes. Die Resultate der wissenschaftlichen Arbeit kommen unmittelbar den Studierenden zugute. Mancher Gelehrte findet in seinen akademischen Vorträgen die Hauptform seiner wissenschaftlichen Aeusserung. So wird, bei aller Beachtung des Lehrzwecks, die wissenschaftliche Bewältigung des Stoffs die selbständige Aufgabe des Dozenten. Hieraus ergibt sich im Zusammenhang mit dem Lehrplan eine Zumutung an die Aufnahme- und Verarbeitungsfähigkeit des auf sich selbst gestellten Studierenden, der der Durchschnitt nicht gewachsen ist. Der Lehrplan umspannt das ganze Rechtsgebiet. Wir können völlig davon absehen, ob eine Vorlesung obligatorisch ist oder nicht und wie man jenen Plan anlegt, – für den Studierenden ist entscheidend, ob die Disziplin examiniert wird. Der Examensgegenstand ist Lerngegenstand, und Examensgegenstand ist und muss bleiben – bis auf Nebensächliches – grundsätzlich das ganze Rechtsgebiet. Das bedeutet einen unermesslichen Stoff. Allerdings wird man ihn dem Studierenden nur ansinnen, soweit er ihm vorgetragen wird. Aber er wird ihm vorgetragen in wissenschaftlicher Konzentration und Vertiefung – und so will er aufgenommen sein: begrifflich in Wesen und Zweck erfasst, verstanden werden. Was will das sagen! Früher, vor der stupenden Gesetzesentwicklung des Reiches und im Reich, sagte man: „bonus institutionista bonus pandektista, bonus pandektista bonus jurista“. Das gemeine Zivilrecht und zwar das römische Recht, das war das A und das O. Darauf kam es an; das wurde geprüft; daneben noch ein wenig Handels- und Wechselrecht, Strafrecht, vielleicht Prozess; alles andere gehörte in die

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/164&oldid=- (Version vom 21.11.2021)