Seite:Handbuch der Politik Band 3.pdf/170

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Fächern (Mathematik und Naturwissenschaften) gewidmet, ausserdem den Anfangsgründen des Fachstudiums. Die vier Semester nach dem Vorexamen umfassen das eigentliche Fachstudium. Den Abschluss bildet das Diplom-Hauptexamen, nach dessen Bestehen die Kandidaten von der Hochschule zu „Diplom-Ingenieuren“ – abgekürzt „Dipl.-Ing.“ – ernannt werden. Nur diese Diplom-Ingenieure (ferner die Regierungsbauführer und Regierungsbaumeister) können als vollwertige „Ingenieure“ und „Architekten“ bezeichnet werden, daneben auch ältere Herren, die zu einer Zeit studiert haben, in der es noch keine Prüfungen gab; die Titel „Ingenieur“ und „Architekt“ sind aber leider immer noch vogelfrei: Der Dipl.-Ing. kann die Würde eines Doktor-Ingenieurs – „Dr.-Ing.“ – in einem Verfahren erwerben, das der Doktorpromotion der Universitäten im wesentlichen entspricht. – Das vorgeschriebene achtsemestrige Studium wird auch von fleissigen Studierenden meist um ein und einschliesslich des Examens um zwei Semester überschritten.

Das Studium an der Technischen Hochschule umfasst:

a) Vorträge der Dozenten;
b) Übungen, in denen Entwürfe einschl. der erforderlichen Berechnungen durchgearbeitet werden,
c) Seminar-Arbeiten,
d) Arbeiten in den verschiedenen Laboratorien und Prüfeanstalten (vgl. unten),
e) Exkursionen und Besichtigungen.

Weil bei den Arbeiten unter b) „gezeichnet“ wird, herrscht vielfach die irrige Anschauung, das „Zeichnen“ sei die Hauptsache in den technischen Berufen und diese beruhten daher hauptsächlich auf Handfertigkeit; diese Anschauung ist durchaus irrig: das Zeichnen ist nur die Sprache des Technikers, mit der er einen Teil seines Wissens und Könnens ausdrückt.

Die Technischen Hochschulen haben sehr damit zu kämpfen, dass die Vorbildung der Studierenden in der Mathematik und den Naturwissenschaften sehr verschiedenartig ist. Ebenso wie für andere Berufe wäre eine stärkere Betonung dieser Gebiete auf dem humanistischen Gymnasium sehr zu begrüssen, während die Realanstalten in der Mathematik vielleicht zuviel leisten wollen.

Die Technischen Hochschulen müssen, weil sich die verschiedenen Lehrgebiete planmässig aufeinander anfbauen, „Studienpläne“ aufstellen, und es hat sich mehr und mehr als nötig erwiesen, für jedes Studienjahr eine Art von „Pflichtfächern“ den Studierenden zwar nicht vorzuschreiben, aber zu empfehlen; die Studierenden halten sich auch meist ziemlich streng an diese Vorschläge, und der Erfolg gibt dem System Recht. Das Examen übt ausserdem einen gewissen Zwang zum Besuch der Übungen und Laboratorien aus; die akademische Freiheit leidet hierunter aber nicht.

Der schnellen Entwicklung der Technischen Wissenschaften entsprechend befinden sich die Studienpläne in einer ständigen Fortentwicklung, die sich oft nur unter Kämpfen durchsetzt. Die Entwicklung muss zunächst den Fortschritten der Technik Rechnung tragen, also neue Fachgebiete aufnehmen: noch vor einem Jahrzehnt wurden Explosionsmotoren, Automobile, Luftschiffahrt, Dampfturbinen, grosse Gebiete der Elektrotechnik kaum betrieben, heute sind es Wissensgebiete, denen jeder Studierende des Maschinenbaus sich widmen muss, und auch die schon länger betriebenen Fächer haben ihren Inhalt sehr erweitert oder auch ganz umgestaltet. Ausserdem muss aber verlangt werden, dass die Studierenden sich staatsrechtliche und volkswirtschaftliche Kenntnisse erwerben. Die Hauptschwierigkeit der Weiterentwicklung besteht nun darin, dass der grösser werdende Stoff ohne Verlängerung des Studiums bewältigt werden muss.

Im Einzelnen wird sich die Entwicklung folgenden Zielen zuwenden müssen:

I. Das erste Mittel hierzu besteht in der Beschränkung der „vorbereitenden“ Fächer, vor allem der Mathematik (wenigstens für die Durchschnittsstudierenden), der jetzt ungebührlich viel Zeit gewidmet wird. Das wird naturgemäss von vielen Mathematikern nicht anerkannt, und dadurch entstehen nicht selten Konflikte zwischen ihnen und den Fachprofessoren. Der Ingenieur ist aber kein Mathematiker; es ist also fehlerhaft, ihn dazu erziehen zu wollen, das Übermass an Mathematik, an der école polytechnique hat z. B. der Technik Frankreichs zum Schaden gereicht.

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/170&oldid=- (Version vom 22.11.2021)