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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Es ist durchaus irrig, dass die Mathematik die Grundlage der Technik ist, sie ist lediglich eines der vielen Hilfsmittel, dessen sich der Ingenieur bedienen muss. Die Stärke des Ingenieurs kann nie im Rechnen, sondern muss im statischen, dynamischen und wirtschaftlichen Durchdenken seiner Aufgaben liegen.[1]

Ist ein Übermass von Mathematik abzulehnen, so muss andrerseits aber auf den Technischen Hochschulen die Möglichkeit bestehen, dass Studierende, die besonders dazu neigen, sich in höheren Semestern in der Mathematik vertiefen können; auch sollten die künftigen Oberlehrer in grösserem Umfang als bisher an den Technischen Hochschulen studieren können. Es würde jedenfalls den Hochschulen, den Mittelschulen und den Oberlehrern von hohem Nutzen sein, wenn sie auf den Technischen Hochschulen einen tieferen Einblick in unsere technisch-naturwissenschaftlich und künstlerisch gerichtete Zeit gewönnen.

II. An zweiter Stelle steht die Vertiefung und Verbesserung des Fachstudiums. Diese besteht zunächst in der bereits erwähnten Aufnahme der ständig neu auftauchenden Gebiete, sodann in einer gewissen Spezialisierung. Es müssen nämlich allen Studierenden der gleichen Abteilung die Grundlagen ihres Fachwissens gleichmässig geboten werden, es sollte aber den Studierenden freigestellt sein, sich – besonders im vierten Studienjahr – zu spezialisieren, indem sie ein Sondergebiet stärker betonen und dann auch im Diplom = Hauptexamen hierin eingehender geprüft worden.

So gliedert sich z. B. die Bauingenieurwissenschaft (Abteilung II) tatsächlich in folgende Gebiete: in die allgemeine Grundlage der Statik, dann in Brückenbau, Wasserbau und Wasserwirtschaft, Eisenbahnwesen, Städtebau. Eine mässige Spezialisierung ist nicht ungesund, sie ermöglicht vielmehr Vertiefung durch die Bearbeitung grosser Aufgaben, bei denen sich der Professor den einzelnen oder kleinen Gruppen besonders eingehend widmen kann. – Grosser Wert muss sodann darauf gelegt werden, dass die Studierenden im Laboratorium selbständig arbeiten. Die Hochschulen müssen zu diesem Zweck mit guten Laboratorien ausgestattet sein; einzelne dieser Laboratorien gemessen einen Weltruf, so z. B. das Maschinenbaulaboratorium Stuttgarts; von grosser Bedeutung sind auch die Versuchsanstalten für Flussbau, Schiffbau, Lokomotivbau u. dgl., ferner die technischen Museen (Verkehrsmuseum Berlin, Eisenbahnmuseum Nürnberg, Deutsches Museum München, Kensington Museum London). Dass diese Anstalten den Technischen Hochschulen nicht unmittelbar angegliedert sind, ist für die Ausbildung der Studierenden kaum von Nachteil.

III. Unsere Zeit erfordert aber auch noch gebieterisch eine Erweiterung des technischen Studiums nach der wirtschaftlichen und rechtlichen Seite hin, denn der Ingenieur schafft innerhalb bestimmter rechtlicher Rahmen für die Volkswirtschaft. In beweglichen Worten sind hierfür die grossen technischen Verbände eingetreten.

„Die technische Leistung vollzieht sich niemals so, dass allein das im engeren Sinn „technisch Mögliche“ in Frage stünde, sie vollzieht sich vielmehr stets unter Berücksichtigung der gegebenen rechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Die technische Leistung ist ein Ausgleich zwischen dem technisch Möglichen einerseits und dem rechtlich und ethisch Zulässigen sowie dem wirtschaftlich Erfolgreichen andrerseits. . . . . Grade in ihrer engeren Berufssphäre sollen die akademischen Techniker die stete Bindung ihres Wirkens an Paragraph und Preis nicht als einen fremden und lästigen Zwang empfinden, sie sollen vielmehr für diesen bedingenden Zusammenhang ein wissenschaftliches Verständnis schon auf der Hochschule gewinnen.“[2]

„Der Unterrichtsbetrieb der Technischen Hochschulen ist so einzurichten, dass die Studierenden die Möglichkeit einer harmonischen, weitere Lebensgebiete umfassenden Ausbildung gewinnen, die sie befähigt, über die Grenzen der eigentlich technischen Tätigkeit hinaus, immer auf deren Grundlage, sich tätig regelnd und leitend an der Pflege und Hebung unseres nationalen Kulturzustandes zu beteiligen.“


  1. Auch die oft gehörte Annahme, die Fortschritte der Technik bauten sich auf den Fortschritten der mathematischen Fassung der Erkenntnis auf, ist nur bedingt richtig. Viele Fortschritte sind zunächst vom Ingenieur auf empirischem Wege gemacht worden, dann erst ist die Wissenschaft grübelnd gefolgt; das zeigt sich z. B. in der Chemie, im Maschinenbau und in der Elektrotechnik. Die Fortschritte in der Technik werden vor allem durch den Wettbewerb, durch den harten Kampf ums Dasein, erstrebt und ausserdem oft nur durch das Gross-Kapital ermöglicht.
  2. Denkschrift des Verbandes Deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/171&oldid=- (Version vom 22.11.2021)