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weiteren Rahmen des Heimatschutzes umspannende „Verunstaltungsgesetz“ (s. u.) geschaffen, in welches die Denkmalpflege mit eingeschlossen ist.

Die Ausübung der so gesetzlich geregelten Denkmalpflege durch die, Denkmälerorganisation ist innerhalb des Deutschen Reiches ebenfalls eine sehr vielgestaltige. In Preussen hat eine weitgehende Dezentralisation der Denkmalpflege den größeren Teil der Arbeit in die Provinzen verlegt, den „Provinzialkonservatoren“ übertragen. Das gleiche System besteht in Hessen, Oldenburg und Baden. Demgegenüber hat Bayern eine stark zentralistisch gebildete Organisation in seinem „Generalkonservatorium“, ähnlich Württemberg mit seinem „Landeskonservator“.

Innerhalb dieser äusserlichen Entwickelung der Denkmalpflege hat sich aber dabei in ihrem inneren Wesen in den letzten 25 Jahren eine tiefgreifende Wandlung vollzogen: nämlich die vollständige Abkehr von der namentlich in den 60er Jahren herrschenden Restaurierungssucht, einer Frucht des Historismus auf dem Gebiete der Kunst. Diese Wandlung verdanken alle Kulturländer in letzter Linie dem energischen Auftreten des temperamentvollen englischen Ästhetikers John Ruskin, der die „Society for the Protection of ancient buildings“ ins Leben rief, sie ist aber in Deutschland ganz besonders auch das Verdienst der freien wissenschaftlichen, aber vom Staate unterstützten Organisation, welche die Denkmalpflege hier – und zwar für ganz Deutschland – in dem jährlich abgehaltenen „Tag für Denkmalpflege“ seitdem Jahre 1898 gefunden hat, und aus welcher besonders jenes hessische Gesetz hervorgegangen ist. Schon auf dem ersten Denkmaltag erhob Cornelius Gurlitt die für die moderne Denkmalpflege charakteristische Forderung, dass auch in der Denkmalpflege, in der Arbeit an den Denkmälern, die lebendige Kunst das Hauptwort zu sprechen habe.

Auch in Ruskins Geiste ist aber gleichzeitig neuerdings eine grosse Ausdehnung der Denkmalpflege erfolgt: nämlich zunächst ihre Ausdehnung auf die sogenannten „Naturdenkmäler“, worin Preussen nach den Vorschlägen von Conwentz – die übrigens schon unter dem Einfluss des „Heimatschutzes“ standen – führend vorangegangen ist, indem es nach mancherlei Verordnungen schliesslich eine „Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege“ geschaffen hat. Auch das hessische Denkmalschutzgesetz hat die Naturdenkmäler bereits mit einbegriffen, und auch in Frankreich ist diese Ausdehnung wie oben gezeigt neuerdings erfolgt. Dann aber hat sich der Denkmalschutz, wie vor allem in den Verhandlungen der letzten Denkmaltage hervortritt, auch bezüglich der Kunstdenkmäler immer mehr ausgeweitet, indem er von den hervorragenden Schöpfungen der grossen Kunst auch zu den weitverbreiteten alltäglichen Dingen, vom einzelnen Bauwerk zu seiner Umgebung und zum ganzen Stadtbild, von der Stadt zum Dorf und zur Pflege der „heimischen Bauweise“ fortschritt. Aber dies geschah erst in den letzten Jahren unter dem Einfluss und zunächst in Konkurrenz mit einer neuen umfassenderen Kulturbewegung: der des „Heimatschutzes.“

Der Heimatschutz ist im letzten Jahrzehnt als jüngerer Bruder, der die ältere Schwester jetzt schützend mitumfasst, neben die Denkmalpflege getreten. Das Wort wurde von dem Musiker Ernst Rudorff, Professor an der Königlichen Hochschule für Musik in Charlottenburg, mit seinen im Sommer 1897 in den „Grenzboten“ unter diesem Titel erschienenen Aufsätzen, welche dann erweitert in Buchform veröffentlicht wurden, geschaffen und hat seitdem wie die damit bezeichnete Bewegung einen Siegeszug durch die ganze Kulturwelt angetreten. Die wichtigsten Grundgedanken sind aber schon in einem älteren Aufsatz des Verfassers „Über das Verhältnis des modernen Lebens zur Natur“ enthalten, welcher 1880 in den Preussischen Jahrbüchern erschienen ist.

Der „Heimatschutz“ in diesem Sinne bezweckt die Erhaltung der historischen und natürlichen Schönheit unserer Heimat. „Er erweitert den Denkmalbegriff auf die Werke der volkstümlichen Kunst. Er umfasst mehr noch als Einzelwirkungen die Gesamtwirkungen, die charakteristische Erscheinung der Heimat überhaupt, die er als Gesamtdenkmal auffasst, also das von der Natur geschaffene Landschaftsbild ebenso wie das vom Menschen geformte Ortsbild. Und da der Mensch selbst wie seine Wohnstätte und die Natur, die ihn umgibt, Einflüssen ausgesetzt ist, die seine bodenständige Eigenart verderben und verwischen, so ist die Volkspersönlichkeit selbst, die Erhaltung ihrer Eigenart in Hausrat, Brauch und Tracht, in Dichtung, Lied und Tanz, Gegenstand des Heimatschutzes. Vielverbreitet war seit langem die Wertschätzung des Altertümlichen, aber

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/177&oldid=- (Version vom 27.11.2021)