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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

zu den staatlichen Kunstlehranstalten nur solche Schüler zuzulassen, die ein Handwerk beherrschen. Während die Ecole des beaux-arts in Paris auch Architekten ausbildet, pflegen in Deutschland für die Baukünstler die Technischen Hochschulen zu sorgen. Dabei liegt allerdings die Gefahr nahe, dass im Vergleich mit den technischen und Verwaltungs-Gebieten, die der künftige Baubeamte beherrschen muss, die Ansprüche der Kunst zu kurz kommen; von den Technischen Hochschulen in Deutschland (Berlin-Charlottenburg, Hannover, Aachen, Danzig, München, Dresden, Stuttgart, Karlsruhe, Darmstadt, Braunschweig) wissen insbesondere die ausserpreussischen dieser Gefahr zu begegnen.

Gleich ernst ist für den Staat und die nationale Kunstpolitik die Ausbildung der im Kunstgewerbe tätigen Kräfte. Schon Colbert hatte den Kunsthandwerkern in den Staatsmanufakturen Gelegenheit zur praktischen und zeichnerischen Ausbildung geschaffen. In der Revolutionszeit entstand in dem Conservatoire des arts et métiers die erste zielbewusste Anstalt zur Ausbildung für die technischen Fächer. Im übrigen aber ist die planmässige Schulung für das Kunsthandwerk ein Gedanke erst des 19. Jahrhunderts, das den Begriff und das Wort Kunstgewerbe geprägt hat. Man ward sich dieser Aufgabe erst bewusst, als man beobachtete, wie in der neuentstehenden Kunstindustrie Hersteller und Erfinder sich schieden und man neben dem Arbeiter eigener künstlerischer Kräfte benötigte, die sich Musterzeichner, Kunstgewerbezeichner, neuerdings auch Innenarchitekten nennen und heute zum Teil selbständige, angesehene Künstler sind.

Die erste Weltausstellung in London 1851 zeigte, wie dank seiner alten Schulung das französische Kunstgewerbe den übrigen Ländern überlegen war. Von daher datiert, durch Gottfried Semper eingeleitet, die planmässige Fürsorge für Kunsthandwerk und Kunstindustrie durch Museen mit Sammlungen alter Vorbilder, Bibliotheken und Schulen. In England ward von dem South Kensington Museum aus ein Netz solcher Anstalten über das ganze Land gebreitet. Auf dem Kontinent folgten Österreich, Deutschland und die übrigen Länder.[1] Lange glaubte man, in den Kunstgewerbeschulen durch Zeichnen und Modellieren den Zweck zu erreichen. Neuerdings aber stützt man auch diesen Unterricht auf die Praxis in Schulwerkstätten und Fachschulen. Deutschland ist heute an tätigen Schulen dieser Art reicher und vielgestaltiger als andere Länder; unsere Schulen sind zu ihrem Vorteil nicht zentralisiert, sondern gewinnen durch den Wetteifer der Staaten, Provinzen und Städte und haben viel dazu beigetragen, dass die Vorherrschaft des französischen Geschmackes gebrochen ist und Deutschland sich neben England und den gleichstrebenden Ländern selbständig behauptet. Die neue, vertiefte künstlerische Gesinnung ist auch auf die Handwerker- und Fortbildungsschulen angewendet worden, mit besonderem Erfolg durch Schulrat Georg Kerschensteiner in München.[2]

Im Rahmen der Kunstpflege hat der Staat sich hie und da für verpflichtet gehalten, den Künstlern zur Ausstellung und zum Absatz ihrer Werke behilflich zu sein, besonders durch Errichtung von Ausstellungsgebäuden. Wiederkehrende Kunstausstellungen sind in Paris im Anschluss an die Akademie schon 1667 eingerichtet worden. Auch anderwärts veranstalten zum Teil die Akademien die jährlichen Kunstausstellungen, in Berlin gemeinsam mit dem Künstlerverein unter Obhut des Staates. Zumeist aber sind zweckmässiger Weise die Kunstvereine und freie Vereinigungen von Künstlern die Träger des Ausstellungswesens. Die Handwerkskünstler haben bisher nur in Paris gleichberechtigten Zutritt zu den jährlichen Salons erkämpft.

2. Das umfangreichste und wichtigste Feld der öffentlichen Kunstpflege bilden die öffentlichen Bauten. In die Pflichten monumentaler Repräsentation, die früher die Kirche, die Städte und die Fürsten bestritten, teilt sich jetzt eine grosse Zahl von Mächten: die Staaten und die Landschaften, Stadtgemeinden und Kirchengemeinden, öffentliche und privatrechtliche Körperschaften. Das vielgestaltige Leben unserer Zeit pflegt die alten, ehrwürdigen Probleme der früheren Generationen weiter und stellt dazu eine schwer zu übersehende Fülle neuer Aufgaben, die der Vorzeit unbekannt waren oder nur als bescheidenste Nutzbauten behandelt wurden. Die Gotteshäuser; die Stätten des Kunstgenusses, Theater und Museen; die Repräsentationsgebäude


  1. Heinrich Waentig, Wirtschaft und Kunst. Jena 1909.
  2. G. Kerschensteiner, Organisation und Lehrpläne der obligatorischen Fach- und Fortbildungsschulen in München. München 1910.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/182&oldid=- (Version vom 28.11.2021)