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Erziehungsmittel für jedermann. Man hat es neuerdings, englischen und amerikanischen Vorgängen folgend, auf freiere Methoden begründet und dadurch volkstümlicher gemacht.

Das Zeichnen, welches vorwiegend der Beobachtung dient, sollte ergänzt werden durch Handarbeit, die zum Gestalten anleitet. Auge und Hand durch eigene Tätigkeit an Zweckaufgaben und gediegenem Material zu üben und dadurch die einseitig geistige Schularbeit zu ergänzen, wird seit hundert Jahren von den grossen Pädagogen empfohlen, seit einem Menschenalter im Ausland, besonders in Skandinavien und Amerika, geübt und, noch zu zaghaft, in Deutschland erstrebt. Die Handarbeit der Mädchen, die zum festen Lehrplan gehört, hat seit kurzem ihre Ziele und Wege handwerklich und künstlerisch reformiert.[1] Um die Einführung der Handarbeit für Knaben als Werkunterricht auf den Unterstufen und als gediegene Handfertigkeit für die älteren Schüler kämpft der Deutsche Verein für Knabenhandarbeit (Sitz Leipzig) unter seinem Vorsitzenden E. von Schenckendorff.

Um den Sinn der Kinder auf Form und Farbe zu richten, wendet man dem Bau des Schulhauses und der Ausstattung der Schulzimmer wachsende Sorgfalt zu. War früher das Schulhaus oft der nüchternste, ja ödeste Bau in der ganzen Gemeinde, so sucht man jetzt in Stadt und Land das Haus und seine Räume ansprechend, einladend, freundlich und farbig zu bilden; oft ohne erhebliche Mehrkosten, nur durch den Geschmack berufener künstlerischer Kräfte.[2] Einzelne Schulbauten gehören zu den besten Schöpfungen unserer führenden Architekten. In der deutschen Unterrichtsabteilung auf der Weltausstellung in Brüssel zeigten wir die geschmackvollsten Schulzimmer nach der Zeichnung bester Raumkünstler.

In die freie Kunst soll der Wandschmuck einführen, der für Schule und Haus zu wohlfeilen Preisen geschaffen worden ist. Nachbildungen bester Kunstwerke alter und neuer Meister, Gemälde, Zeichnungen und Bildwerke, stehen neben farbigen Originalbildern heutiger Künstler, die meist für Steindruck eigenhändig gezeichnet worden sind. Ob diese Bilder, im Schulhaus aufgehängt, lediglich durch sich selber wirken sollen, oder ob der Lehrende diese und andere Kunstwerke durch vorsichtige, geschmackvolle Erläuterung den Kindern nahe bringen soll, wird viel erörtert. Hier wie bei allem, was die Kunst berührt, kommt es letzten Endes auf die Persönlichkeit an. Bilderbücher und Spielzeug neuerer Art möchten in der Kinderstube in gleichem Sinne wirken.

Schwerer als die Schuljugend ist das Volk in seinen weiteren Schichten zu fassen. Es gibt Idealisten, die auf eine Erneuerung der alten Volkskunst hoffen, wie sie einst das Volk besonders auf dem Lande übte; darauf ist leider im Zeitalter der Zeitungen wenig Aussicht. Auch der Dilettantismus wird sich in die Bahnen besseren Geschmackes leiten lassen, wie ein Teil neuerer Frauenarbeit bekundet; aber einer Ausbreitung, namentlich in der Männerwelt, ist die Zeit wenig günstig. Erfreuliche Versuche macht in Hamburg die Gesellschaft Hamburgischer Kunstfreunde.[3] Auch die Führungen in den Museen werden immer nur einzelnen Hörern zu selbständigem Erfassen der Probleme verhelfen können und nur wenigen zugute kommen. Dagegen soll man nicht unterschätzen, wie viel auf diesen und anderen Wegen, durch Vorträge, Volksabende, populäre Kunstausstellungen, billige und gute Bilder, durch Geschmack in den Aufgaben des täglichen Lebens, den Drucksachen, den Schaufenstern, vor allem in den Werken des Kunstgewerbes, der Baukunst und der öffentlich sichtbaren freien Künste langsam, aber stetig an neuen Massstäben für Form und Farbe hingestellt und verbreitet wird. In diesem weiteren Sinne betrachtet, stellt die Kunstpflege immer neue Ziele und bietet für die ernste Mitarbeit vielen Kräften Raum, den Einzelnen wie den Gemeinschaften. Wer die Sehnsucht der Volksschichten kennt, die sich heute durch eine tiefe Kluft von den sogenannten Gebildeten getrennt fühlen, darf auch die wohlverstandene Kunst für eine Brücke ansehen, die zu schlagen und auszubauen eine soziale Pflicht ist. Dann mögen der hoffnungslose künstlerische Unverstand und üble Wille, denen man oft in den oberen Schichten begegnet, sich selber überlassen bleiben.


  1. Margot Grupe, Die neue Nadelarbeit. Berlin 1910. – Aus der Praxis der Knaben und Mädchenhandarbeit, hrsg. L. Pallat. Leipzig, seit 1910.
  2. Das Schulhaus. Zentralorgan für Bau, Einrichtung und Ausstattung der Schulen. (Seit 1899) Charlottenburg, Schulhausverlag.
  3. Lichtwark, Wege und Ziele des Dilettantismus, und andere Schriften.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/185&oldid=- (Version vom 28.11.2021)