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aber pflegt der begriffliche Schwerpunkt gelegt zu werden, und man kann darin eine Abgrenzung finden; manche schalten die Naturgefahren aber begrifflich ganz aus.

Wer den Staat indes nicht als einen Bau von lauter Isolierzellen ansieht, wird so wenig theoretischer Spaltung, wie dem Ressortpartikularismus huldigen, dagegen als Hauptgesichtspunkte folgende festhalten, aus denen das Wesen der Sicherheitspolizei erhellt:

1. Während die äussere Sicherheit des Staats durch Wehrkraft und Diplomatie geschützt wird, hat die innere ihren besten Schutz in gehobener Kultur und Zufriedenheit, kann aber gleichwohl einer massvollen Beobachtung und gegebenenfalls der Abwehr von Gefahren nicht entbehren, welche sich dem Staat und einer geordneten Regierung entgegenstellen; diese Beobachtung und auch die Abwehr ist Sache der politischen Polizei als eine reine Staatsaufgabe, welche somit einen Hauptzweig der Sicherheitspolizei ergibt.

2. Der andere, bestehend im präventiven Schutz der Rechtssphäre des Einzelnen, kann prinzipiell nur eine subsidiäre Staatsaufgabe sein. Denn der Selbstschutz durch Vorsicht und Vorbeugung ist das Natürliche im privaten Lebenskreise, neben dem vollständig ausgebildeten repressiven Schutz durch die Gerichte, und es besteht die faktische Unmöglichkeit, dass der Staat durchweg Angriffen und Verletzungen zuvorkomme; es würde an Personal und Tätigkeit weit mehr erheischen, als der Schaden andererseits entzieht.[1] Wie weit die Subsidiarität reicht, ist theoretisch zwar in Formeln zu fassen versucht worden (Versagung der Selbsthilfe, unmittelbare Angriffe, wichtigere Rechtsgüter, Gefährdung des Publikums oder bloss Einzelner, Untertanen oder Fremder, u. s. f.), sie besagen aber ausser Gradunterschieden praktisch wenig. Das Mass pflichtmässiger Tunlichkeit für die Beamten, das Friedbewusstsein des Schutzes, auf der Gegenseite entschiedene Furcht vor dem Erwischtwerden, in der öffentlichen Meinung das Anerkenntnis des Genügens für verständige Ansprüche und des Ausbleibens schwerer oder häufiger Missgriffe besagen als Richtpunkte weit mehr.

3. Ebenso ist Staatsaufgabe die Beteiligung und für gewisse Gefahren selbst die alleinige Leistung des Schutzes gegenüber zu erwartender elementarer Schädigung, einerlei ob man hierin staatswissenschaftlich ein Stück Verwaltung oder Sicherheitspolizei sehen will; mit Rücksicht auf die Einteilung des Handbuchs wird in diesem Abschnitt nur von solchen Gefahren noch gesprochen werden, welchen keine anderwärtige Darstellung gewidmet ist.[2]

Aus der begrifflichen Begrenzung der Sicherheitspolizei, im Gegensatz zur Polizei sonst und zur Verwaltung,[3] sind juristische Folgen übrigens nur da zu ziehen, wo ein Gesetz sie an den Begriff knüpft. Aber gerade da muss, bei der Verschiedenheit des Sprachgebrauchs, darauf gesehen werden, jenen nicht nach doktrinären Erwägungen, sondern im Geist dieses speziellen Gesetzes oder, wo solches dafür versagte, im Geist der sonstigen Gesetze des betreffenden Landes zu erfassen.[4]

III. Rechtsstand. Alle Kulturstaaten haben legislative Schranken bezüglich der Mittel der Sicherheitspolizei aufgestellt, sei es durch Normierung der gestatteten Handlungen oder umgekehrt durch Garantierung von Freiheiten des Individuums, aus welchen sich Verbote für die


  1. Der beissende Witz Emil Frommel’s sagte: „Polizei und Käse haben die Augen da, wo nichts ist.“
  2. Vgl. die Kapitel „Sittlichkeits-, Gesundheits-, Veterinärpolizei“ dieses Abschnitts, ferner Kriminalpolizei (unter Strafrechtsreform), Versicherungswesen, Arbeiterschutz u s. f.
  3. In diesem Sinn definiert Hieber a. a. O S. 53 (vgl. auch S. 110) mit Bezug auf Gaupp-Götz, württ. Staatsrecht (Tübingen 1908), den Gegensatz von Sicherheits- und Verwaltungspolizei: erstere umfasse die Tätigkeit der öffentlichen Organe zur Abwendung speziell derjenigen Gefahren, welche die öffentliche und private Rechtsordnung und damit die Sicherheit der Gesamtheit, wie der Einzelnen, also nicht bloss bestimmte Lebensverhältnisse und Interessen, durch widerrechtliche Handlungen oder Unterlassungen bedrohen, – die Verwaltungspolizei dagegen sei die Betätigung in bestimmten einzelnen Gebieten (Gesundheits-, Bau-, Feuer-, Feldpolizei u. s. f.). Allein fast jede Gefahr wird ein bestimmtes Lebensverhältnis betreffen und, wenn sie nicht elementarer Art ist, zugleich ein Stück Rechtsordnung bedrohen.
  4. Nach preussischem Recht (Gesetz über Allg. Landesverwaltung § 143) können ortspolizeiliche Sicherheitsanordnungen ohne Zustimmung des Gemeindevorstands erlassen werden; vgl. dazu auch Allg. L.R. Teil II Tit. 17 § 10 und v. Kamptz s. v. „Polizei“ in Poseners Rechtslexikon. Wichtig ist die Begriffsfrage auch für R.Vereinsgesetz (1908) § I Abs. 2.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/189&oldid=- (Version vom 29.11.2021)