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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

durch Dritte auf Kosten des renitenten Pflichtigen bewirken kann, äussersten Falls zum persönlichen Zwang zu greifen. Demgemäss gestatten ihr die Landesrechte[1], zur Beseitigung ordnungswidriger Zustände (Gefahr, öffentliche Unsittlichkeit, Tumult), selbst Verhaftungen, im Sinne einer polizeilichen Verwahrung (also weder Untersuchung, noch Strafe, sondern Sicherung oder Zwang) oder auch Konfinationen, wie z. B. bei der Quarantäne. Selbstverständlich in der Dauer nie über den Fall hinaus, unter gleichzeitiger Fürsorge für die tunlichst frühe Behebung des Haftgrunds, auch unter gesetzlicher Statuierung von Zeitmaximen und vor allem mit der Grundregel, dass persönlicher Zwang nicht angewendet werden darf, wenn die Wirkung auf anderm Weg erreichbar. Er kann auch zur Sicherung des Verhafteten selbst oder seiner Ausweisung geschehen.

Ein Haftungsrecht aus sicherheitspolizeilichen Gründen zu schaffen, entschlossen sich viele deutsche Territorien nach den Bewegungsjahren 1848/9. Es sind die sog. Tumultgesetze.[2] Die Unmittelbarkeit und häufige Vermögenslosigkeit der Schadenstifter bei Zusammenrottungen führte dazu, die Gemeinden des Tatorts privatrechtlich für den Ersatz haftbar zu machen unter Berücksichtigung des Gesichtspunkts, dass sie für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung in ihrem Bezirk die öffentlich-rechtlich Verpflichteten sind.

Dem Landesrecht gehört endlich die gesamte Personalorganisation an, in rechtlicher und finanzieller[3] Hinsicht. Das Recht der Zivilbehörde, Militär zu Sicherheitszwecken, beizuziehen, ist vielfach in Militär-Konventionen, der Waffengebrauch überhaupt in Spezialgesetzen geregelt. Die geheime Polizei,[4] früher Hauptquelle der Ausgaben, steht gegenüber der öffentlich auftretenden (Gendarmerie, Schutzmannschaft) nun ganz im Hintergrund. Der Sicherheitsdienst in den Gemeinden, ihre Pflicht zur Haltung von Polizeipersonal, oft auch von Nachtwachen zur Sicherung gegen Diebstahl und Feuersgefahr, beruht teils auf staatlichen Auflagen, teils auf dem Gemeinderecht; in grösseren Plätzen führt auch der Staat gegen Ersatz da und dort diesen Dienstzweig. Als höchste Ressortstelle erscheinen regelmässig die Ministerien des Innern; eine nachahmenswerte Organisation besitzt Belgien, indem die Generaldirektion der öffentlichen Sicherheit mit derjenigen der Gefängnisse vereinigt ist.

IV. Besondere Aufgaben. Hinsichtlich der allgemeinen Gefahren kommt zu den alten Sachgebieten (Feuer-, Wasser-, Bau-, Verkehrspolizei) ständig Neues hinzu durch neue Stoff- und Kraftverwendungen: Fahrstühle und -räder, Automobile und Luftschiffe, – Petroleumtanks, Azetylen und Elektrizität, – selbst Brieftauben, Hutnadeln und das Rodeln – alles setzt sich in Sicherheitsvorschriften und -kontrollen um.

Stetiger sind die Personenkreise, denen besondere Beobachtung, Überwachung und sicherheitspolizeilicher Zwang sich zuwendet; es treten hier drei Hauptgruppen hervor:

1. Während der einheimische Sesshafte als persönlich bekannt gilt, kann im reisenden oder doch flottierenden Volksteil und im Fremden Verdächtiges verborgen sein. Pass- und Meldewesen, ersteres schon 1867 vom Norddeutschen Bund (mit Aufhebung des Passzwangs, nicht aber jeder Legitimationspflicht) geregelt, sowie die Gesindepolizei leisten hier eine bei uns leichte, massvolle Kontrolle, welche in Gährungs- und Kriegszeiten zum Passzwang verschärft werden kann; in einzelnen ausserdeutschen Ländern aber besteht auch im Frieden grosse Plage damit. Während der Ausländer im Grundsatz ausweisbar ist,[5] besteht das Gegenteil für den


  1. Vgl. Seuffert im Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechts II S. 671 ff. und als Einzelbeispiel Schlusser-Miiller, badisches Polizeistrafrecht, Kommentar bei §§ 30, 31.
  2. Zusammengestellt in Meyer-Dochow, Deutsches Verwaltungsrecht § 46 Anm. 13. Vgl. dazu Möricke, die deutschen Tumultgesetze (Berlin, Rothschild 1909).
  3. Der Versuch, in den Polizeietats Mannschaft und Ausgaben für Sicherheitspolizei auszusondern, würde in vielen Beziehungen erfolglos sein.
  4. Vgl. v. Mohl a. a. O. S. 478–496.
  5. Ausländische Arbeiter, unter welchen durch Fleiss und Sparsamkeit die Italiener sich auszeichnen stellen oft Massenansammlungen dar, welche aber mehr die Gesundheits-, als die Sicherheitspolizei beargwöhnt, z. B. wegen der Lücke im Impfwesen. Man pflegt für den Aufenthalt Legitimationskarten mit verschiedener Farbe nach der Nation auszustellen.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/191&oldid=- (Version vom 1.12.2021)