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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Das Abkommen hat natürlich nicht den Zweck, Behörden zu schaffen, die authentisch feststellen können, welche Erzeugnisse unzüchtig seien. Das könnte nur durch die Gesetzgebung der einzelnen Länder geschehen. Es ist in der Tat erwägenswert, ob nicht ein richterliches Zentralamt für das Deutsche Reich geschaffen werden könnte, dem in jedem Falle die Entscheidung darüber vorzubehalten wäre, ob eine Veröffentlichung als unzüchtig anzusehen ist. Die Schwierigkeiten, die dem entgegenstehen, sind nicht unerheblich, aber kaum unüberwindlich. Jedenfalls wäre dadurch eine einheitliche Praxis ermöglicht, deren Fehlen sich heute oft recht unangenehm fühlbar macht. Das internationale Abkommen aber wird jedenfalls die Tätigkeit der polizeilichen Behörden sehr wesentlich unterstützen, in dem es sie mit den in Frage kommenden Erzeugnissen und deren gewerbsmässigen Herstellern bekannt macht. Es ist zu erwarten, dass dadurch einer grossen Anzahl von Unternehmern das Handwerk gelegt wird, die fast ausschliesslich pornographische Erzeugnisse auf den Markt bringen und dabei sehr stark auf den Absatz im Auslande rechnen.

Weiter aber wird die Polizei aus ihren allgemeinen Befugnissen auch das Recht ableiten dürfen, die Entfernung einzelner Erzeugnisse aus den Auslagen der Buchhändler usw. zu verlangen, auch wenn deren Verbreitung nicht strafbar ist. Denn auch an sich einwandfreie Veröffentlichungen, die von geschlechtlichen Dingen handeln, können eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellen, wenn z. B. die in ihnen enthaltenen Abbildungen dem grossen Publikum zur Schau gestellt werden. Dasselbe gilt natürlich von Werken der bildenden Kunst, z. B. Sammlungen von Radierungen einzelner Meister. Hier etwa die besonders anstössigen auszulegen, ist eine durchaus verwerfliche und schädliche Spekulation auf die Lüsternheit des Publikums. Dass bei dem Einschreiten der Polizei Missgriffe vorkommen können, ist gewiss, aber gerade hier wird der dadurch verursachte Schaden wenig erheblich sein.

Eine weitere wichtige Aufgabe erwächst der Sittlichkeitspolizei aus dem Vorhandensein der Prostitution d. h. der gewerbsmässigen Hingabe des Körpers zu geschlechtlichem Genusse. Die Stellung des Staates zu diesem allgemein als verächtlich geltenden Treiben ist schwierig. Zweifellos ist die Prostitution ein grosses Übel. Insbesondere ihr enger Zusammenhang mit dem Verbrechen ist so oft eingehend geschildert, dass hier ein einfacher Hinweis auf die Tatsache genügen muss. Aber sie ist ein Übel, das nicht mit den Waffen des Strafrechts und der Polizei überwunden werden kann. Schon deshalb nicht, weil die erfolgreiche Bekämpfung nicht bei der Dirne beginnen müsste, sondern bei dem Manne, ohne dessen Verlangen nach käuflichem Liebesgenuss die Dirne überhaupt nicht vorhanden wäre. Jedenfalls hat sich eine Bestrafung der Prostitution stets als vollkommen unwirksam erwiesen. Sie ist zudem auch eine innerliche Ungerechtigkeit, da die Hingabe gegen Entgelt an sich weder eine Rechtsverletzung noch eine Störung der öffentlichen Ordnung darstellt. Gefährlich ist nicht der Vorgang an sich, sondern gefährlich sind die ihn begleitenden Nebenerscheinungen. Darum wird sich die staatliche Einwirkung besonders gegen diese zu richten haben. Daraus ergibt sich die auch im deutschen Rechte vertretene Auffassung, dass die Prostitution als ein nicht strafbares aber der Reglementierung bedürftiges Gewerbe erscheint. Das ist die wirkliche Bedeutung des oft angefochtenen § 361 Z. 6 St. G. B. Mit Strafe bedroht wird der nicht konzessionierte Betrieb einerseits und die Nichtbefolgung der für den Betrieb erlassenen Polizeivorschriften andrerseits. Anstoss hat man dabei namentlich an der Konzessionierung genommen, die durch Eintragung in die Dirnenlisten geschieht. Der Vorentwurf zu einem deutschen Strafgesetzbuch hat darauf in § 305 Z 4 insofern Rücksicht genommen, als er nicht mehr die gewerbsmässige Unzucht als solche unter Strafe stellt, sondern nur die Übertretung der zur Sicherung der Gesundheit, der öffentlichen Ordnung oder des öffentlichen Anstandes erlassenen Vorschriften bestraft. Die Grundsätze für diese Vorschriften soll der Bundesrat bestimmen. Denselben Standpunkt nimmt der „Gegenentwurf“ (Berlin 1911) in § 246 ein, nur verlangt er Regelung der Grundzüge durch ein Reichsgesetz. Die von beiden Entwürfen vorgeschlagene Änderung ist nur insofern erheblich, als sie die Frage der „Einschreibung“ den polizeilichen Vorschriften zur Regelung überlässt. Die auch hier als notwendig anerkannte Reglementierung ist keine Ungerechtigkeit, sondern einfach eine Massregel der Wohlfahrtspflege. Selbstverständlich ist dabei die Prostituierte nicht rechtlos, sondern nur strafbar, soforn sie sich den bestehenden Anordnungen nicht fügt. Die wichtigste dieser Anordnungen ist bisher die Notwendigkeit der Anmeldung bei der Polizei. Sie hat den Zweck, der Polizei die Kontrolle darüber zu erleichtern, dass nicht ordnungswidrige Handlungen begangen

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/196&oldid=- (Version vom 2.12.2021)