Seite:Handbuch der Politik Band 3.pdf/197

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

werden. Ordnungswidrig aber sind die Handlungen, durch die entweder der geschlechtliche Anstand verletzt oder das öffentliche Wohl gefährdet wird. Die weitaus wichtigste Gefährdung des öffentlichen Wohles ist die Verbreitung der Geschlechtskrankheiten, die durch regelmässige ärztliche Untersuchungen, wenn nicht verhindert, so doch wesentlich eingeschränkt werden soll. Dieser Schutz der Volksgesundheit ist eben der eigentlich springende Punkt in der Behandlung der Prostitutionsfrage durch die Polizei. Jedenfalls könnten alle anderen Vorschriften für den Betrieb des Prostitutionsgewerbes auch ohne Inskription durchgeführt werden. Sie stellen sich im wesentlichen dar als Massnahmen zur Bewahrung des geschlechtlichen Anstandes und zum Schutze des Publikums gegen Belästigung und Gefährdung durch den Gewerbebetrieb selbst. Es kommen dabei etwa in Betracht die Verbote für Prostituierte in bestimmten Strassen oder Häusern, oder in Familien mit schulpflichtigen Kindern zu wohnen, ferner bestimmte Strassen und Plätze entweder überhaupt oder wenigstens zu bestimmten Tages- oder Nachtstunden aufzusuchen, sich überhaupt auffallend, Anstoss erregend zu benehmen oder zur Unzucht anzureizen, mit Minderjährigen Verbindungen anzuknüpfen, Zuhälter bei sich zu beherbergen. Unter diese Gesichtspunkte fasst z. B. eine preussische Ministerialverfügung vom 11. Dezember 1907 (M. Bl. f. d. i. V. 1908 S. 14) die erforderlichen Vorschriften zusammen, indem sie im übrigen mit Recht vor kleinlichen und zu sehr ins einzelne gehenden Bestimmungen warnt.

Was nun den Gesundheitsschutz anlangt, so ist die Tätigkeit der Polizei weit davon entfernt, mit den üblichen Mitteln der Verbreitung von Geschlechtskrankheiten wirksam begegnen zu können, denn die amtlich bekannte Prostitution ist nur ein sehr kleiner Teil der wirklich vorhandenen. Darum erklärt sich auch das Bestreben, eine einmal der Gewerbsunzucht überführte Person nicht mehr aus den Augen zu lassen und deshalb die zwangsweise Eintragung in die Listen vorzunehmen. Man kann wohl daran zweifeln, ob diese weit verbreitete Praxis die Befugnisse der Polizei nicht überschreitet. Die erwähnte preussische Ministerialverfügung steht nicht auf diesem Standpunkt, weist aber die Behörden an, eine Zwangseinschreibung jedenfalls nicht vorzunehmen, ehe nicht eine gerichtliche Verurteilung wegen Gewerbsunzucht erfolgt ist. Der herrschenden Übung gegenüber ist das als ein wesentlicher Fortschritt in dem Schutze gegen polizeiliche Willkür zu bezeichnen. Ebenso ist es sehr anerkennenswert, dass in dieser Verfügung mit dem System der ausschliesslichen polizeiärztlichen Untersuchung gebrochen wird. Sie knüpft an § 9 Abs. 2 des preussischen Gesetzes betr. die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten vom 28. August 1905 an, der eine Zwangsbehandlung geschlechtskranker Prostituierter erforderlichenfalls zulässt. Die dazu erlassenen Ausführungsbestimmungen vom 7. Oktober 1905 (M. Bl. f. Mediz. Angelegenheiten S. 389) empfehlen es, die Behandlung der Geschlechtskrankheiten Prostituierter durch Einrichtung öffentlicher ärztlicher Sprechstunden zu erleichtern, die erwähnte Ministerialverfügung weist die Polizeibehörden an, dafür Sorge zu tragen, dass diese Einrichtungen vorhanden sind und von den Prostituierten auch wirklich benutzt werden. Die polizeiärztliche Untersuchung soll demgegenüber nur die Ausnahme bilden. Eine zwangsweise Behandlung in einem Krankenhause soll nur angeordnet werden, wenn die freie ärtzliche Behandlung nicht regelmässig aufgesucht wird oder der Verdacht besteht, dass der Unzuchtbetrieb trotz der bestehenden Krankheit fortgesetzt wird.

Dies zum allgemeinen Vorbilde wohl geeignete System bedarf freilich der wesentlichen Ergänzung. Eine Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten ist ohne Massregeln auch gegen geschlechtskranke Männer ziemlich wirkungslos. Allerdings wird es sich dabei um Aufgaben der Gesundheits- und nicht der Sittlichkeitspolizei handeln, die durch entsprechende strafrechtliche Vorschriften zu unterstützen wären. Hier muss genügen, darauf hinzuweisen, dass dazu erforderlich erscheint Bestrafung der wissentlich en Übertragung von Geschlechtskrankheiten, Einreihung der Geschlechtskrankheiten unter die für den Arzt anzeigepflichtigen, möglichst weitgehende kostenlose, darum aber auch nötigenfalls zwangsweise, Heilbehandlung der Erkrankten.

Ein besonders wunder Punkt der Prostitutionspolizei ist die Behandlung der Kuppelei. Dass nach dem deutschen St. G. B. das Halten eines Bordells als Kuppelei strafbar ist, wird nur ganz ausnahmsweise bezweifelt. Trotzdem halten sehr viele Polizeibehörden die Existenz von Bordellen für eine Notwendigkeit. Tatsächlich wohl mit Unrecht. Zwar ist es nicht zu bestreiten, dass die Kasernierung in Bordellen die Überwachung der Bordelldirnen auch in gesundheitlicher Beziehung erleichtert. Aber das fällt praktisch nicht sehr ins Gewicht, da sich tatsächlich doch nur der allerkleinste

Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/197&oldid=- (Version vom 3.12.2021)