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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

fälligen direkten Staatssteuern oder Gemeindeabgaben trotz rechtzeitiger Mahnung und ohne Stundung erhalten zu haben, ganz oder zum Teil im Rückstand sind. Wahlgesetz § 2 Abs. 3 Ziff. 3 und § 4 Abs. 2.

Hinsichtlich der Tätigkeit des Landtages, seiner Rechte und der Rechte seiner Mitglieder gelten diejenigen Regeln, welche auch sonst von den Landtagen und ihren Mitgliedern in Geltung stehen. Die Vorschriften, welche das Verfassungsgesetz darüber enthält, entsprechen teils den Artikeln der Reichsverfassung und der preussischen Verfassung, teils den bereits im Gesetz vom 4. Juli 1879 enthaltenen Vorschriften. Hervorzuheben sind nur folgende Besonderheiten: Über Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahlen der Landtagsmitglieder entscheidet nicht die betreffende Kammer, sondern der oberste Verwaltungsgerichtshof und bis zu seiner Errichtung ein Senat des Oberlandesgerichts.

Es gibt keine Stichwahlen. Soweit sich bei der Hauptwahl keine absolute Mehrheit ergibt, findet am 7. Tage nach der Hauptwahl eine Nachwahl statt, bei welcher derjenige gewählt ist, welcher die meisten gültigen Stimmen erhalten hat. (Wahlgesetz § 10 Abs. 2.)

Dem Kaiser steht es zu, beide Kammern, und zwar gleichzeitig, zu berufen, zu eröffnen, zu vertagen und zu schliessen. Er kann beide Kammern auflösen; die Auflösung nur einer derselben hat für die andere den Schluss der Sitzungsperiode zur Folge. (Verfassungsgesetz § 11.)

Die Geschäftssprache des Landtags ist deutsch; seine Verhandlungen sind öffentlich. (Daselbst § 15.)

Zur Beschlussfähigkeit der ersten Kammer ist die Anwesenheit von mindestens 23 Mitgliedern, der zweiten Kammer die Anwesenheit der Mehrheit der gesetzlichen Anzahl ihrer Mitglieder, also 31, erforderlich. (Daselbst § 18.)

Für den Staatshaushaltsetat, welcher alljährlich durch Gesetz festgestellt wird, gelten drei besondere Vorschriften von grosser Bedeutung. Er muss zuerst der zweiten Kammer vorgelegt werden und die erste Kammer kann ihn nur im ganzen annehmen oder ablehnen. Dieser Beschluss der ersten Kammer kann sich nur auf diejenige Gestalt des Etatsgesetzentwurfes beziehen, welche aus den Beratungen und Beschlüssen der zweiten Kammer hervorgegangen ist. (§ 6 Abs. 1.)

Die zweite Kammer darf ohne Zustimmung der Regierung im Etatsentwurfe nicht vorgesehene Ausgaben oder Erhöhungen von Ausgabeposten über den Betrag der von der Landesregierung vorgeschlagenen Summe in den Etat nicht einsetzen. (§ 6 Abs. 2.)

Wenn das Etatsgesetz beim Beginn des neuen Wirtschaftsjahres, gleichviel aus welchem Grunde, nicht verkündigt ist, so bleibt die Regierung ermächtigt, die gesetzlich bestehenden Steuern und Abgaben fortzuerheben und soweit deren Erträge nicht ausreichen, um die rechtlich begründeten Verpflichtungen der Landeskasse zu erfüllen, sowie Bauten, die auf Grund eines dem Landtag vorgelegten und von ihm genehmigten Bauanschlags ausgeführt werden, fortzusetzen und die gesetzlich bestehenden Einrichtungen zu erhalten und fortzuführen, Schatzanweisungen auszugeben. (§ 6 Abs. 3.)

Obgleich diese Sätze nichts enthalten, was nicht ohnehin aus einer richtigen Würdigung des konstitutionellen Budgetrechts folgt, so ist doch ihre gesetzliche Sanktion von grosser Wichtigkeit, da jene von der Theorie entwickelten Sätze bekanntlich bestritten sind.

Die angeführten Regeln über die Bildung, Geschäftstätigkeit und Befugnisse der beiden Kammern und ihre Mitglieder bilden den wichtigsten und wesentlichsten Bestandteil des als Verfassung von Elsass-Lothringen bezeichneten Art. II des Reichsgesetzes vom 31. Mai 1911, aber nicht den einzigen. Der Erlass des Gesetzes bot zunächst die Gelegenheit, die schlechte Fassung der Bestimmungen des Gesetzes vom 4. Juli 1879 über die Stellung des Kaiserlichen Statthalters zu verbessern, Zweifel, die über ihre Auslegung entstanden waren, zu erledigen und die Anordnungen den neuen Verhältnissen entsprechend zu ergänzen.

Sodann wurde das streitig gewordene Verhältnis der Landesregierung zur Reichsregierung hinsichtlich der beiderseitigen Hoheitsrechte über das Eisenbahnwesen dahin geordnet, dass das Reich in Elsass-Lothringen das Eisenbahnmonopol hat und dass, soweit es selbst Eisenbahnen baut oder betreibt, die Ausübung der auf den Bau und Betrieb der Eisenbahnen sich beziehenden Rechte der Reichsverwaltung zustehen; dass jedoch die Landesbehörden anzuhören sind, bevor Entscheidungen der Reichsbehörden ergehen, welche die Verkehrsinteressen des Landes berühren oder in

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/228&oldid=- (Version vom 14.9.2022)