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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Polen zu parzellieren rentabel, und den Kennern blieb nicht verborgen, wie sich deutsche Güterhändler und auch deutsche Grundbesitzer immer eifriger daran beteiligten, deutschen Besitz an Polen aufzuteilen. So gingen die Polen vor und bald erkannte man, dass die deutsche Aktion machtlos war gegenüber dem Ansturm der kleinen landhungrigen Polen, die um ein Stückchen Erde jahrelang Frondienste leisteten. Es zeigte sich, dass trotz aller Ankäufe der Ansiedlungskommission die Deutschen seit 1896 Jahr für Jahr Verluste an Grund und Boden erlitten, sodass sie von 1896 bis 1904 über 58 000 Hektar in Posen und Westpreussen an die Polen verloren haben.

5. Das Ausnahmegesetz gegen polnische Siedlungen (Ansiedlungsnovelle).

Deshalb entschloss sich die preussische Regierung im Jahre 1904, ein Ausnahmegesetz zu schaffen, welches die Errichtung von Wohnhäusern auf dem Lande von der Genehmigung des Regierungspräsidenten abhängig machte. Man war der festen Überzeugung, dass die Überlegenheit der polnischen Siedlungen damit gebrochen sei, denn jetzt konnten, so meinte man, gegen den Willen der Regierung polnische Siedlungen im Kampfgebiete überhaupt nicht entstehen. Jedoch die Polen umgingen das Gesetz, indem sie deutsche Güter teils unter Benutzung alter Insthäuser, teils unter Benutzung benachbarter Gebäude aufteilten, und das Oberverwaltungsgericht erkannte in einer Sitzung vom 5. Oktober 1905 für Recht, dass diese Umgehung zulässig sei. Also war die Ansiedlungsnovelle ein Schlag ins Wasser, und es war nicht zu verwundern, dass im Jahre 1905 wiederum über 4000 Hektar an die Polen verloren wurden, im Jahre 1906 sogar über 12 000 Hektar und 1907 fast 6000 Hektar. Die Kraft der Polen war nicht gebrochen.

6. Das Enteignungsgesetz.

Weitblickende Beamte hatten schon seit einem Jahrzehnt als Fundamentalfehler der Ansiedlungspolitik den Mangel des Enteignungsrechts bezeichnet und darauf hingewiesen, dass eine Behörde unmöglich auf die Dauer mit skrupellosen Spekulanten konkurrieren könne. Sie hatten gezeigt, dass die Ansiedlungskommission durch das Dazwischentreten gewandter und rücksichtsloser Privatunternehmer notwendig zu einem Spielball der Grundstücksspekulation werden müsse, solange sie gezwungen sei, sich den erforderlichen Grund und Boden durch freihändigen Kauf zu verschaffen. Jedoch die Regierung hielt den Gedanken, Güter aus politischen Gründen zu enteignen, für so radikal, dass es dauernder und schwerer Enttäuschungen bedurfte, bis endlich der Ministerpräsident Fürst Bülow sich entschloss, vom Landtag das Enteignungsrecht zu verlangen.

Durch das Gesetz vom 8. März 1908 wurde der Ansiedlungskommission das Enteignungsrecht verliehen.

Dann zögerte die Regierung, von der Waffe, die sie gefordert hatte, Gebrauch zu machen. Man fürchtete, dass eine Enteignung aus politischen Gründen ernste Bedenken hervorrufen werde, und nach den schlimmen Überraschungen im Kampf um den Boden zweifelte man, ob die Enteignung überhaupt einen nationalpolitischen Erfolg sichern werde. Man wies auf die Erfahrungen hin, die bisher mit Enteignungen der Eisenbahnen, der Kommunen usw. gemacht waren, und erinnerte daran, dass nach der gerichtlichen Praxis mehrerer Jahrzehnte den Enteigneten ein „reichlich bemessener Ersatz“, oft sogar der volle Spekulationspreis erstattet worden war. Die Anwendung der Enteignung werde daher, so meinte man, den Gütermarkt nur von neuem beunruhigen, werde den Polen grosse Summen zuführen, werde die deutschen Besitzer, die solche Gewinne nicht erhielten, zum Verkauf an Polen verführen, ein neuer Circulus vitiosus werde entstehen, in welchen dann die Regierung wieder hilflos gebannt sei.

Und doch gibt es eine Möglichkeit, die Enteignung anzuwenden, ohne in den neuen Circulus vitiosus zu geraten; wenn man sich entschliesst, zwei Grundsätze mit eiserner Konsequenz zu befolgen.[1]


  1. Vgl. zum Folgenden: „Die Anwendung des Enteignungsgesetzes in den Ostmarken“ von – – – Konservative Monatsschrift November 1911, ferner: „Die preussische Polenpolitik“ von Ludwig Bernhard im „Tag“ Nr. 21, 1912.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/238&oldid=- (Version vom 14.9.2022)